Tod Eines Kritikers
Ehrl-KönigShow, egal, ob er vorkomme oder nicht. Und wenn sie ihm nachher berichte, erlebe er deutlicher als bei jeder anderen Kommunikation zwischen ihnen, Geschlechtsverkehr inklusive, ihre Nähe oder auch Nicht-Nähe. Er müsse sich, wenn er seine Frau so prüfe, natürlich andauernd bewußt bleiben, daß er die Beziehung zwischen ihr und ihm überfordere. Kein Mensch kann dir, wenn du gedemütigt wirst, noch nahe sein. Keiner kann es dir da noch recht machen. Es gibt nur die Verfehlung, sonst nichts. Allenfalls noch die Mehroderwenigerverfehlung. Du spürst überscharf: du erträgst keinen mehr. Außer dich selbst. Dich selbst erträgst du nie so gut wie in den Zeiten der Demütigung. Du bist dann wirklich eins mit dir. Das schafft jeder, der dich demütigt. Nach dieser eher allgemeinen Vorbereitung, das, was er mir sagen wollte. Er müsse mir das sagen. Jetzt sagen. Ein paar Tage nach der letzten Schlacht. Was für eine Schlacht, wo einer glorios schlachte und der andere keinen Finger rühren könne zu seiner Verteidigung. Ein Schlachten sei’s, nicht eine Schlacht. Und nach dem, was ihm berichtet worden sei von allen, die überhaupt mit ihm telephonierten, habe sich Ehrl-König wieder einmal als Hans Lachs Freund aufgeführt. Und er, Hans Lach, wisse als Ehrl-König-Kenner, daß Ehrl-König das nicht infam meine, das sei einfach sein auf Superlative angewiesener, von Superlativ-Entgegensetzungen lebender ShowInstinkt. Er kann dich am effektvollsten vernichten, wenn er aufstöhnt, mit hochgeworfenen Händen aufschreit: Und das müsse er sagen über das Buch eines Feroindes. Daß der Mächtigste dein Feind ist, ist nicht das Schlimmste, sondern daß er jedesmal wenn er dich erledigt, bevor er dich erledigt, wieder mit zum Himmel gedrehten Augen seufzt, wie ungern er sage, was er jetzt über Hans Lachs neuestes Buch sagen müsse, daß es nämlich von Grund auf mißglückt sei, das über den Feroind Hans Lach zu sagen, den er trotz dieses wieder mißglückten Buches für einen unserer interessantesten, zurechnungsfähigsten Scheriftstellerr halte, das schaffe er nur, weil er sich stets der höheren Weisung bewußt sei, daß er zu dienen habe dem Wohl und Gedeihen der doitschen Literatür.
Ach ja, ach nein, seufzte Silbenfuchs, überhaupt ach, ach, ach. Und daß Wesendonck, zwar kein Literat, aber wohl die hellste Farbe im PILGRIM Wappen, daß er nicht da gewesen sei, sei vielleicht von schicksalsschwerer Bedeutung. Wenn einer, dann hätte Wesendonck Hans Lach bremsen, ihn zu Ehrl-König hinziehen und die beiden in irgendeine bizarr-theatralische, schicksalsübergreifende Versöhnung hineinbugsieren können, die nicht länger hätte halten müssen als diese eine Nacht. Aber Wesendonck war nicht da. Ehrl-König war politisch überhaupt nie faßbar. Daß der Vater der Madame zuerst Privatsekretär Pétains und dann Geheimdienstchef des Vichy-Regimes gewesen sein soll, kann genauso in den Strauß der Gerüchte gehören wie das Gruselfaktum, Ehrl-König habe, um zu überleben, selber der Sûreté zugearbeitet. Und: er habe zur Resistance gehört. Wahrscheinlich wollte Rainer Heiner Henkel, der Dirigent der Gerüchte, so demonstrieren, was Gerüchte sind. Ehrl-König hat zu keinerlei politischer Entschiedenheit getaugt, er hat die Welt im Grunde nur als Belletristik begriffen. Geschichte war ihm nur zugänglich in jener boulevardesken Schrumpfform, die man Literaturgeschichte nennt. Aber da der radikal systemkritische Wesendonck seine Legitimität von Anfang an als antifaschistische begriff, waren sie sozusagen natürliche Verbündete. Daß Wesendoncks Antifaschismus genau so wie der Pilgrims aus braungrundierter Kindheit stamme, mache ihn nur noch ernsthafter. Wesendonck und Pilgrim seien Jugendführer gewesen und hätten, wenn alles schlimm ausgegangen wäre, braune Karrieren machen können, die noch über ihre Väter hinausgeführt hätten. Daher die Wachheit, die Empfindlichkeit, mit der sie auf jedes Symptom reagieren, das von nachlassendem Antifaschismus zeugt. Also Wesendonck, wäre er nur dagewesen, hätte alles verhindern können, Ehrl-König würde noch leben und Freund Lach auch. Er kann ja das, wenn er es denn getan hat, gar nicht verkraften. Denken Sie doch nur einmal an diese Augen, diesen Bubenblick. Allerdings, der stets das überentwickelte Kinn überwölbende Wulstmund spricht eine andere Sprache. Und auch die vom übrigen Gesicht nichts wissende, weil genau so kräftige wie feine Nase.
Und die
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