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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Party, sagte ich dann, mich gestisch für meine Hartnäckigkeit entschuldigend. Ja, die Party. Einer, es war Wilhelm Thronsberg, der hatte gerade noch vor der Sendung gesagt: Daß Ehrl-König gestorben ist, wißt ihr? Und wißt ihr, woran? Logorrhöe! Der gratulierte jetzt so enthusiastisch, daß Ehrl-König nach dem Namen fragte. Thronsberg, aber mit t-h, Wilhelm.
    Und Ehrl-König, wirklich leidend: Thronsberg, t-h, UND Wilhelm! Gnade! Cosi, hilf mir, sag du, wie ich war, dir glaub ich am meisten.
    Und setzte sich auf seinen, in seinen Polsterthron. Cosi setzte sich auf den Boden, lehnte den Blondkopf an sein Knie, er bekraulte Nacken und Haare, auch an ihrer Nase knetete er herum, also, dachte man da, sind die roten Ränder an Cosima von Syrgensteins Nase nicht vom Nasenbohren rot, sondern von den knetenden Fingern des Meisters. Jetzt, sag, wie war ich heute, sagte er.
    Und sie: Nimm mir’s nicht übel, André, du weißt, ich bin immer so furchtbar gerade raus, aber du warst heute nichts als umwerfend, leider so gut wie noch nie.
    Und er: Ich spüre durchaus, wie du mich nachträglich für die letzte Sendung kritisieren willst, und weiß nicht, ob ich dir das übelnehmen soll, denn dadurch arbeitest du ganz direkt me inen Feinden zu. Cosi fan tutte.
    Jetzt kniete sie, legte den schönen Blondkopf auf seine Oberschenkel und weinte. Er griff mit beiden Händen zu. Die eine Hand in den Haaren, die andere fuhr ihr innerhalb ihres Kleids den Rücken hinab. Sie schluchzte. Ich wollte doch nur sagen, daß du noch nie so gut gewesen sein kannst wie heute, rief sie. Ja, ja, ja, rief er, ich soll immer der alles Vergebende sein. Gut, Cosi, ich vergebe dir. Aber dergleichen, bitte, nicht noch mal. Ich finde, ich darf erwarten, daß, wer mich loben will, mich nicht zuerst beleidigen muß. Sonst möchte ich lieber nicht gelobt werden. Sonst ist die Welt nicht mehr in Ordnung. Wie sagt doch Shakespeare? Spät kommt ihr, doch ihr kommt. Jetzt lachten alle, weil er sich offenbar im Zitat vergriffen hatte. Aber er lachte mit. Er sieht dann schnell verdrießlich aus. Übel gelaunt. Weil er gelacht hat. Ach ja, die Party. Jetzt aber, sagte der Professor und lachte und stand heftig auf, müsse er seinen Abschied nehmen. Ich begleitete ihn hinunter, er lobte unsere schmale, fast hundert Jahre alte Eichentreppe, wir traten beide hinaus ins Freie und mußten die Augen schließen. Aus blauestem Himmel die hellste Sonne und überall der alles noch greller machende Schnee. München blendet, sagte der Professor und lachte und ging nach herzlichem Händedruck Richtung U-Bahn. Weil der Schnee noch immer hart gefroren war, ruderte auch der Professor bald mit hochgeworfenen Händen um Gleichgewicht. Ich dachte an Ehrl-Königs hochgeworfene Hände. Vielleicht hat er auch nur um Gleichgewicht gerudert, der Arme.

    5

    Zum KHK Wedekind in die Bayerstraße bin ich erst gegangen, als er mir telephonisch mitgeteilt hatte, daß KK Meisele versetzt sei. Dem zu begegnen wäre mir peinlich gewesen. Vielleicht glaubte er, ich sei schuld an seiner Strafversetzung. Ich hätte, denkt er vielleicht, seinem Vorgesetzten nicht sagen sollen, daß er und wie er angerufen hatte. Ich hätte sagen sollen, daß ich wegen irgendeines Mißverständnisses die Verabredung nicht eingehalten hätte … Ach, was für ein Wust gleich, jede Wirklichkeit. Ich sehnte mich zurück zu Seuse. Was einem hier erzählt wird! Was da auf einen einstürmt! Ich kam mir ganz unvorbereitet vor! Meine Aufmerksamkeit schärfte ich auf eins: Kein Urteil.
    Manchmal griff ich nach links ins Regal, wo immer in Reichweite Seuse steht. Schlug auf. Eine Predigt, in der ich, das wußte ich natürlich, Aufnahme fand. Und schlürfte die vor Unschuld brausende Seusesprache:

    Vil lieben kynder, der diesen grunt allein erreichen kunde, der hette erreichet den aller nehisten kurtzesten, slechsten, sichersten weg zu der höchsten nehisten warheit, die man yn der zyt ervolgen mag. Zu diesem enist nyemant zu alt noch zu kranck, noch zu dump, noch zu jung, noch zu arme noch zu riche, das were: Non sum, ich inbyn nicht. Ach, was lyt unsprechlich wesen an diesem Non sum! Ach, diesen weg enwil nyemant wanderen, man kere war man ummer kere! Go segen mich, entruwen, wir syn und wollen und wolden ye syn, ye einer uber den andern. Hie my synt alle menschen also gefangen und gebunden, das sich nyemant lassen enwil; ime were lichte Zehen wercke dann eyn gruntlich lassen.

    Bis zum Nichtsein sich lassen, sich

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