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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Nicht-Ich sein lassen, bis daraus Ichsagen gelernt wird, wenn man Fichte heißt, und als Goethe und Nietzsche dann ernten. Nichts als Sprache gründet diesen Weg, aber nachher fühlt es sich an, als sei man ihn wirklich gegangen.
    Andererseits, daß die Sprache mindestens aus soviel Natur wie Geschichte besteht, erlebt man an solchen Texten mit einem Gefühl, das gemischt heißen darf. Den slechsten, sichersten weg zu der höchsten nehisten warheit … Daß uns die tausend Überlieferer slechsten in irgendeine Sackgasse haben geraten lassen, daß wir mit schlechthin nichts mehr anzufangen wissen, weil wir das schlicht nicht mehr darin sehen, das doch drinsteckt! Wie viel schöner gräbt’s sich da als im Gehege der Schuld.
    Aber Herr Wedekind gab nicht nach, ich mußte hin zu ihm, ein Büro voller Statistikkurven und Nachschlagewerken. Die Computer im Extra-Raum. Wie ein zarter Sportler oder wie ein trainierter Schauspieler kam er mir vor. Ganz am Kopf bleibende Haare wie bei Hans Lach, aber nicht rötlich, sondern dunkel, nicht schwarz.
    Seine Botschaft: Hans Lach bringt ihn zur Verzweiflung. Inzwischen ist bewiesen, daß er andere Untersuchungshäftlinge im Widerrufen trainiert. Breithaupt war nur der Anfang. Hofgang hat er jetzt nur noch allein. Jeden dritten Tag überstellt man ihn in die Ettstraße zur Vernehmung. Er, KHK Wedekind, hat ihm zwei Wochen Schockwirkung zugebilligt, aber anstatt ins Kommunikative zurückzukehren, wird er immer noch unzugänglicher. Am Anfang hat er noch Sarkasmen losgelassen über die Ermittlung, der er hier ausgesetzt werde. Wedekind hat ihm klargemacht, daß er, Hans Lach, nur noch bis zur Schneeschmelze den versteinerten Stummen spielen könne. Sobald die Isarauen frei seien, werden die Indizien blühen. Und zwar gegen einen, der offenbar nicht die Spur eines Alibis hat, sonst hätte er das ja zur Abkürzung und Ersparung von allem einfach heraussagen können. Schweigen gelte in der Kriminaltechnik als halbes Geständnis. Da fehle einfach noch die psychische Kraft und die seelische Größe, sich durch ein Geständnis wieder den Menschen anzuvertrauen, zu denen man doch gehöre, letzten Endes. Auch wenn man ein komplizierter Schriftsteller sei. Aber so kompliziert komme Hans Lach ihm, dem Hans Lach lesenden Kriminalbeamten, gar nicht vor. Er habe inzwischen das meiste gelesen. Alle neun Romane und einiges vom Drumherum auch. Alle Achtung vor dem Leidenspark der Lach-Romane, alle Achtung vor der Kraft zur Zuwendung. Aber selbst wenn er Hans Lach in ein Literaturgespräch ziehen wolle – keine Reaktion. Das heißt: einen Zettel kriegt man schon mal von ihm. Die Lippen wie zugenäht. Wie für immer. Offenbar habe sich Lach angewöhnt, über jeden, dem er gegenübersitze, hinwegzuschauen. In die Augen schauen, geht nicht. Links oder rechts vorbei offenbar auch nicht. Vor sich hin, auch nicht. Also über den hinweg. In die Höhe. An die Wand. Gestern habe Hans Lach ein Messer aus der Tasche gezogen, ein Klappmesser, Modell Schweizer Armeemesser, habe es aufgeklappt, dann ihn, Wedekind, angeschaut, wahrscheinlich um zu sehen, ob Wedekind Angst habe, da das natürlich nicht der Fall gewesen sei, habe Lach das Messer wieder zugeklappt, habe es auf den Tisch gelegt, dazu einen Zettel, auf dem stand: Mit diesem oder einem Messer dieses Modells werde ich demnächst, wenn Sie mich weiterhin belästigen, in Ihrem Gesicht Schaden anrichten. Hans Lach. Und in Klammern darunter, groß: Unschuldiger. Aber warum spricht er dann nicht mit uns, sagte Wedekind.
    Daß man ihm einen zu Verhörenden mit einem Armeemesser überstellt, habe zur zweiten Dienstaufsichtsbeschwerde seinerseits geführt.
    Ich sagte, ich sei noch nicht so weit, um irgend etwas sagen zu können. Ich sei allerdings mit nichts anderem beschäftigt, als mit dem Nachweis eben der Unschuld, die auf Lachs Zettel vermerkt sei.
    Wedekind wiederholte dann, was ich schon kannte, zusammenfassend. Wie Ehrl-König die Niedermache des Lach-Buches inszeniert und praktiziert habe, das sei nichts als meisterhaft. Und Lach habe, wie eine Vernehmung des durch sein heiteres Gemüt vor aller grellen Parteilichkeit geschützten Professors Silberfuchs ergab, damit rechnen können, gerade diesmal gut wegzukommen. Ehrl-König habe in den letzten drei Wochen vor der Sendung gesagt, Hans Lach stehe auf SEINER LISTE , und auf SEINE LISTE kommen, so Silberfuchs, fast nur Bücher, die nachher die Guten sind. Er habe allerdings auch schon Bücher auf SEINE

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