Tod Eines Kritikers
Oh ja, bitte. Ehrl-König: Machen Sie eine Reihe. Die Literatur der Moderne und der moderne Mensch. Der Moderator bedankte sich bemüht, sagte aber: Wenn das nicht genial ist! Das Publikum klatschte.
Ludwigs Geburtstagsparty, Bert Streiff zitiert einen Ehrl-König-Satz so laut, daß Ehrl-König ihn hören muß. Der dreht sich herum, verdreht die Augen wie ein vergifteter Schmierenkomödiant in einer Schmachtszene, wirft die Hände hoch, als gehörten sie ihm nicht und ruft: Und so was merken Sie sich, pfui! Alle lachen.
Lucie B., seit Jahren Ehrl-Königs Lektorin, beklagt sich bei Ludwig: Sie kann nicht mehr. Seit einundzwanzig Jahren zwingt Ehrl-König sie zu Komplimenten. Er lobt jedes Manuskript, das er bringt und es ist klar, daß sie zustimmen, sein Lob überbieten muß oder er haßt sie. Damit kann sie leben. Aber jetzt verlangt er, daß sie jedesmal auch seine früheren Bücher andauernd lobe. Das gehe zu weit. Sie weiß, daß seine Mutter ihn abgelehnt hat, weil er klein und häßlich war. Dafür will er jetzt von jedem andauernd entschädigt werden. Er ist ein Kind geblieben, das eine liebere Mutter sucht als es hatte. Aber sie weigert sich, diese Mutter zu sein. Ludwig Pilgrim soll helfen.
Ach, Herr Landolf, man muß kein Don Quijote sein, um Ehrl-König für eine Windmühle zu halten.
Das wäre ein hübscher Satz, sagte ich, wenn Ehrl-König nicht ermordet worden wäre. Sehen Sie, so kreisen wir doch alle um ihn, sagte Julia Pelz dann und ließ ihren Mund als geschürzten wirken. Ich nickte: Sein letzter Geburtstag, sagte sie dann, in Brüssel, Bonn, Berlin und, als Breslau-Ersatz, Wien. Überall wo die junge Mutter ihn geboren haben könnte. Sie hat es ihm ja angeblich nie gesagt. Also hat sie die Homermasche inszeniert. Aber die Städte machten ja mit. Ludwig mußte viermal sprechen, RHH zweimal, Muschg und Jandl je einmal. Und natürlich auch noch alles, was da und dort Rang hat. Ehrl-König, öffentlich, jedesmal: das sei die Hauptfeier, alles andere seien unbedeutende Nebenfeiern. Und so weit wie Homer, von sieben Städten reklamiert zu werden, bringe er es leider doch nicht. Und spricht auf jeder Veranstaltung zu jedesmal fünf- bis siebenhundert Personen über die Einsamkeit.
Wissen Sie, Herr Landolf, sagte sie dann, jemand, dem der Tod oder ein Mord alles so verdreht, der sich nicht mehr gestatten darf, einen Ermordeten schlimm zu finden, der blendet sich aus. Als Geist. Als Seele. Als Körper. Als Existenz. Haben Sie noch Fragen? Noch viele, sagte ich.
Wenn einem etwas nicht gefällt, ist es schlecht, sagte sie. Davon hat er gelebt. Was ihm nicht gefiel, war schlecht. Und dafür hat ihn die Chorknabenherde seiner Feuilletons verhimmelt. Seit dem muß man nichts mehr beweisen, nur noch sagen schlecht oder gut. Das hat er geschafft. Ich habe nicht gewußt, daß Sie ihn so wenig geschätzt haben, sagte ich.
Er hat aus der Ästhetik eine Moral gemacht, sagte sie. Die Moral des Gefallens, des Vergnügens, der Unterhaltung. Die Pleasure-Moral. Was mich nicht unterhält, ist schlecht. Ob’s ihm klar war oder nicht, ob’s seiner Clique und Claque klar war oder nicht, sein Gut und Schlecht ist ästhetisch getünchte Katechismusmoral. Einen, der ein schlechtes Buch schreibt, muß man niedermachen. Müllbeseitigung. Gegen Botho Strauß hat er so eröffnet: Wer berühmt ist, kann jeden Dreck publizieren. Sein Publikum wieherte. Da die Todesstrafe abgeschafft ist, brauchen die so was. Gut und schlecht, ein Wörterpaar wie gut und böse. Überhaupt richten.
Wenn Ehrl-König mit einem diskutierte und nicht direkt obsiegte, sagte er einfach: Von Musik verstehen Sie nichts, da sind Sie schwach auf der Brust. Eine seiner Verbalgesten. Das sagte er, auch wenn von etwas ganz anderem die Rede war. Das sagte er auch zu Ludwig Pilgrim, dessen Vater schöne spätromantische Kammermusik komponiert hat, der leider bei den Nazis nicht ganz schlecht angeschrieben war. Er nehme ihm seinen Vater nicht übel, so wenig wie Wesendonck den seinen. Als Ludwig sagte, sein Vater habe zustimmende Briefe bekommen von Chatschaturian und Dallapiccola, rief Ehrl-König: Sag ich es nicht: von Musik verstehen Sie nichts.
Sie schwieg, erschöpft, unschlüssig. Ich konnte nicht helfen. Dann sie: Ich habe gerade an den Satz aus: Der Wunsch, Verbrecher zu sein denken müssen: Verlassen von der Musik, schauen wir zurück, um zu sehen, wann sie uns verlassen hat. Und dann sagt er zu Hans Lach: Von Musik verstehen Sie nichts. Über
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