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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Wort zum zweiten und dritten Band seiner, Bernt Streiffs, Tulpen Trilogie zu sagen. Schließlich blicke er, Bernt Streiff, jetzt, nachdem der dritte Band erschienen sei und, bitte, bei PILGRIM erschienen, auf eine neunjährige Arbeitsstrecke zurück, neun Jahre, und von Ehrl-König … Er soll jetzt, bitte, sofort aufhören mit seiner Tulpen Misere, sagte seine Frau. Die Gründe für einen Mißerfolg sind das Uninteressanteste, was es überhaupt gibt. Ihr Mann habe leider in der PILGRIM Villa nur noch Whiskey getrunken … Malt, sagte er.
    Und sie: Dann habe Bernt Ehrl-König nur noch beschimpft, habe ihn ein Michelinmännchen genannt, einen Fürsten der Aufgeblasenheit, eine Marionette der Egomanie, eine Fernsehlarve und den Totengräber der deutschen Literatur.
    Bernt Streiff gab zu verstehen, daß er zu diesen Bezeichnungen immer noch stehe.
    Sie: Sie habe ihn nicht mehr retten können. Sie sei aufgestanden, habe ihm gezeigt, daß sie gehe. Sie müsse ja morgens gleich nach sechs aus dem Bett. So eine Trilogie, die sich nicht verkauft, will finanziert sein. Also, sie sei verschwunden, aber auch wenn sie nicht früh heraus müßte, wäre sie verschwunden, weil sie es nicht mehr ausgehalten hätte, wie sich Bernt an diesem Tongötzen, der an seiner Blondine herumfingerte, einfach zerrieb. Halten Sie sich für fähig, habe Bernt gerufen, auch nur eine einzige Seite dieser Trilogie zu schreiben. Und Ehrl-König habe mit dem höchsten Grinsen der Welt gesagt: Nein. Nicht einen Satz dieser Trilogie könnte er schreiben.
    Also hat Bernt gerufen: Hört alle, alle einmal her, ich bitte um nicht mehr als um eine Minute Gehör! Dieser, unser aller Herr, hat gerade vor Zeugen zugegeben, daß er nicht fähig wäre, auch nur einen einzigen Satz der Tulpen Trilogie zu verfassen, und gleichzeitig weigert er sich seit Jahr und Tag, dieses Werk auch nur zu erwähnen. Wenn Sie dazu nicht fähig sind, dann müssen Sie doch wenigstens etwas tun dafür.
    Diesen Glanzsatz einer Irrenlogik habe sie noch gehört, dann sei sie draußen gewesen, sagte Frau Streiff.
    Da die beiden offenbar vergessen hatten, daß ich wegen Hans Lach gekommen war, fragte ich einigermaßen übergangslos: Hat Hans Lach es getan, hat er es nicht getan?
    Sie wollte etwas sagen, aber er kam ihr zuvor: Hans Lach habe es getan, er, Bernt Streiff, habe es immer nur tun wollen, immer nur daran gedacht, Tag und Nacht. Getan! Ja, in Gedanken! Echt Bernt Streiff, rumgemurkst bis zum Gehtnichtmehr, und der Lach geht hin, sticht zu, basta. Und er kommt frei. Hunderte werden bezeugen, daß die Gewalt von dem ausging, der dann das Opfer war. Hunder-te! Es gibt Fälle, Autoren, die sich umgebracht haben, die nichts mehr geschrieben haben, die einfach krepiert sind. Hans Lach, der hat’s gepackt. Der ist jetzt durch. Damit ist er Spitze. Das nimmt ihm keiner mehr. Er wird eingehen in die Geschichte als Tyrannenmörder. Er, Bernt Streiff, sei einfach epigonal. Die richtigen Visionen, aber es fehlt der Pepp, der Kick. Zu dick heißt zu spät. Von Anfang an. Und klopfte auf seinen Bauch.
    Mir fiel wieder einmal ein: Die Dicken sind die Märtyrer der religionslosen Gesellschaft.
    Moment, sagte er und hatte den Wunsch, Verbrecher zu sein in der Hand und hatte gleich die Stelle:

    Ich konnte nichts mehr zwischen mich und den bringen. Tag und Nacht kamen aus meinem Mund die Sätze des Allmächtigen. Ich hatte selber nichts mehr zu sagen. Mußte wiederholen, was der Allmächtige gesagt hat. Und nur weil der die Macht hatte, waren seine Sätze mächtig. Als solche belanglos, mit Macht, vernichtend. Meine Eingeweide verhärten sich, mein Atem will nicht mehr Hinausrennen ins Freie. Er oder ich. Wahrscheinlich der gleiche Effekt, wie wenn man in einer kommunistischen Diktatur aus der Partei ausgestoßen wurde. Man wird unangenehm für die, die nicht ausgestoßen worden sind. Und wenn du’s getan hast, wird es deine Tat sein. Kein Affekt im Spiel. Geplant. Wie ein Stück Prosa. Die gleiche zunehmende Notwendigkeit, die man zwar nich durchschaut, die aber nichts Affektives hat. Man spürt, daß man muß. Dann spürt man, daß man kann. Das Übersetzen meiner Notwendigkeit in die Paragraphensprache geht mich dann nichts mehr an.

    Klartext, sagte er. Wenn es aber beim Vorsatz bleibt, sagte ich. Sie sind weit weg, sagte er, das spüre ich. Und verstehen Sie mich nicht falsch. Ich hab mein Lehen und hab Lydia. Es gibt Erfolglosere als mich, die halten mich für erfolgreich. Und hassen mich.

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