Tod Eines Kritikers
Klettergeräusche im Leeren. Zersprungene Gipfelvision. Horrormarmelade aufs vergiftete Showbrot. Sadismus zu Tageskursen. Lückenlos nur die Kontrolle. Winziger als die Freiheit ist nichts. Euch entwachsen, bin ich in eurem Griff wie noch nie. Lebenslänglich eine Enthauptung.
Als ich das las, sagte sie, habe ich gewußt, daß wir zusammengehören, er und ich. Das ist die Beendigung der christlichen Finsternis. Saturn, das wissen Sie, wird mit seiner eigenen Pisse getauft. Deshalb ist er zwar in jeden Schmutz und Abgrund gestoßen, aber er bleibt in jedem Dreck, in den er geworfen wird, der Großvater Apolls. Saturn ist die Zeit vor der Zeit. Und nach ihr. Die absolute Anti-Utopie. Fort und fort frißt er die eigenen Kinder. Hans Lach ist der gequälte Christ, der sich helfen kann zuerst nur mit Delirium, dann mit der Tat. Ehrl-König war die Operettenversion des jüdisch-christlichen Abendlandes, das Antisaturnische schlechthin. Pleasure now, das ist Ehrl-König. Instant pleasure. Blind für den Zustand. Taub für die Gemarterten. Sie sind zu mir gekommen, um etwas zu erfahren.
Inzwischen war auch der Calvados gebracht worden. In einer Karaffe. Wir tranken an diesem Nachmittag die ganze Karaffe leer.
Sie sagte, sie habe, was sie mir sage, natürlich der Polizei nicht gesagt. Sie hoffe immer noch,
daß Hans Lach die Tat gestehe.
Ich schüttelte den Kopf. Sie wollte wissen, warum.
Wegen ein paar Fernsehplänkeleien tötet man nicht.
Und sie: Der glücklichste Mensch des Zeitalters mußte sterben, weil ihn der Unglücklichste nicht ertrug.
Stilisierung, rief ich.
Passen Sie auf, sagte sie und streckte dabei beide Zeigefinger auf das zierlichste in die Höhe; sie spielte eine ernst aufgelegte Pädagogin. Sie mache mich jetzt mit Material vertraut, das sich im Lauf der Jahre bei ihr gesammelt habe. Ohne ihr Zutun sozusagen. Sie müsse mir davor noch sagen – übrigens ohne auf Verständnis meinerseits zu hoffen: Nur wenn Hans Lach gestehe, erweise er sich seiner Tat würdig. Wenn er nicht gesteht, unterwirft er sich der Spießermoral: Weiße Weste, gut davonkommen, heucheln. Wenn er zu seiner Tat steht, leuchtet sie. Macht Geschichte. Entwickelt uns Unterentwickelte.
Also, das Ehrl-König-Material. Von heute aus gesehen, müsse sie sagen, daß sie, was jetzt geschehen ist, immer habe kommen sehen. Noch zwei Bemerkungen vorweg. Erstens: Als Gattin des Ehrl-König-Verlegers habe sie natürlich mehr mitgekriegt als jeder andere Mensch, Ludwig Pilgrim ausgenommen. Aber ihr Ludwig sei ein so durch und durch harmloser Mensch, ihm würde es nie einfallen, ein solches Existenz-Dossier wie das, was sie hat entstehen lassen, überhaupt zu bemerken. Und zweitens: Wenn Herr Landolf auf die Idee komme, das, was sie ihm vortrage, für eine Rache der von Ehrl-König nie auch nur zur Kenntnis genommenen Lyrikerin Julia Pelz zu halten, dann allerdings habe Ehrl-König gesiegt, über seinen Tod hinaus, eben für immer. Ihre drei Gedichtbände Goldsand, Traumstein und Quarzherz seien ihr Innenvermächtnis. Sie stammten aus einer Zeit, in der sie, Julia Pelz, nicht mehr lebe, in der sie leidenschaftlich gern zu Gast war, als sie alles noch nach seiner Erscheinungsqualität einschätzte. Seit sie Saturn zu ihrem Paten gemacht habe, fühle sie sich unverwundbar. Richtig sei, gewisse Bücher brauchen Kritikerfolg, überhaupt Applaus. Sie möchte kein solches Buch schreiben. Sie müsse über ihre Lyrikbücher überhaupt kein Urteil hören. In ihr sei diesen drei Büchern eine Art Nachhaltigkeit gesichert. Das genüge ihr. Jetzt also Nachrichten, André EhrlKönig betreffend.
Sie nahm einen Ordner und las vor. Nach jeder Nachricht, auch wenn sie ganz kurz war, wurde eine neue Seite aufgeschlagen.
Ehrl-König-Vortrag in der Uni aus: Wie ich lese. Als er weg ist, werden seine Sätze im kleinen Kreis voller Verachtung zitiert. Als er da war, hat ihm in der Diskussion keiner widersprochen.
Ludwig: Ehrl-König hat zu seinem Geburtstag vier Festschriften organisiert. Es ist ihm nicht verständlich zu machen, daß bei PILGRIM höchstens zwei erscheinen können.
Ehrl-König im Interview: Ich habe mich im Richtigen entwickelt. Das mag selbstgefällig klingen, aber im Grunde wird so etwas ja doch auch von anderen festgestellt: das, was ich aus mir gemacht habe, ist das, was heute kein anderer in Deutschland kann.
In einer Talkshow Ehrl-König zum Schluß zu dem Master: Ich schenke Ihnen zum Abschied eine geniale Idee. Der Master, gierig:
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