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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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möglichen Verlauf. Sie werde Hans Lach besuchen. Es fehle jetzt nur noch das Geständnis. Ehrl-König sei ein Opfer. Der Macht. Die er war.
    Bis zu diesem Satz hatte sich ihre Linke an dem siebenzackigen Stern festgehalten. Jetzt ließ sie ihn los. Aufatmen, beiderseits. Die sieben Brennöfen der Seele. Oh William, oh Blake. Vielleicht könnten Sie und ich uns unter noch günstigeren Umständen wieder einmal sehen, sagte sie. In diesem Viridarium, sagte sie und lächelte wie nur sie lächeln konnte: sie drehte dabei das Gesicht um eine Winzigkeit weg von mir, konnte dadurch ihre Augen um ein Winziges zu mir herdrehen, die Lippen auch, so wurde daraus ein virtuoser Spott auf alles Erdenkliche, inklusive sie und mich. Oder eine verzweifelte Verwegenheit. Man muß das nicht zuordnen. Auf jeden Fall war sie da unendlich schön. Das muß ich schon sagen. Mir war noch nie ein Mensch so schön vorgekommen. Wie danach weiterleben, dachte ich im Hinausgehen. Nirgends noch etwas Entsprechendes. Schwänin.
    Sie ging mir flott voraus. War sie doch vom Pferd gesprungen? An der Türe, die ein Portal war, entließ sie mich mit einem Neigen ihres Kopfes. Ich wartete, bis der Kopf sich wieder hob, ich wollte ihr einmal direkt ins Gesicht sehen. Nicht neugierig. Nicht zudringlich. Aber doch forschend. Ihre Lippen sagten etwas Lautloses, das hätte consummatum est heißen können. Aber der Überriß blieb. Das Uneindeutige. Das nach allen Seiten Wirkende. Die richtungslose Kraft. Als ich heimfuhr, fiel mir ein, daß Professor Silberfuchs mir, als ich ihm von diesem bevorstehenden Besuch erzählte, gesagt hatte: Vergessen Sie nie, sie hat mit Picasso geschlafen, als jüngstes Mädchen, vielleicht war er sogar ihr Erster, und zwar im Stehen, wobei nicht überliefert ist, ob das etwas über die Flüchtigkeit oder das Raffinement dieses Beischlafs aussagen soll. Und hatte sein etwas schepperndes Lachen ertönen lassen. Jetzt fand ich es erstaunlich beziehungsweise nicht erstaunlich, daß ich während des ganzen Besuchs nicht ein einziges Mal an diese Mitteilung gedacht hatte. Als Schlußwort blieb mir für sie: Spitzbübin.

    6

    In der Steinheilstraße das Gegenprogramm. Zu allem. Bernt Streiff, Lydia Streiff. Ich durfte erst kommen, wenn Lydia Streiff von der Arbeit zurück sein würde. Seine Frau wolle dabei sein . Es sei ihr zu riskant, ihn allein über diesen Abend vor der Tat reden zu lassen. Und da sie ihn ernähre, sagte er am Telephon, könne sie bestimmen.
    Eine enge, sich windende Treppe, am Schluß die reine Hühnerleiter, bis ins Dachgeschoß. Kleine Zimmerchen, schiefe Wände, Mansardenfenster. Ein Klavier durften Streiffs sich nicht wünschen. Dachte ich. Und bedauerte die beiden. Sie mehr als ihn. Das ist einfach so. Wenn es etwas zu bedauern gibt, sind die Frauen zuerst dran. Als wären immer die Männer schuld an dem, was man bedauernswert findet. Und die Frau, die unbedingt dabei sein wollte, war dann doch nicht da. Noch nicht. Aber kaum saß ich, hastete sie herein, fluchte bayerisch auf ihren Chef, Bernt Streiff, hatte Häppchen vorbereitet, dazu gab es Bier. Er trank, solange wir redeten, vier Flaschen, seine Frau zwei, ich ließ von einer etwas übrig. Daß ich Hans Lachs Unschuld beweisen wollte, wußten sie schon. Daß ich alles Erfahrbare erfahren, es entgegennehmen wollte, ohne es zu werten, erklärte ich ihnen. Es sollte sich aus dem Erfahrbaren Hans Lachs Unschuld sozusagen von selbst ergeben.
    Nachdem Hans Lach von zwei Butlern hinausbugsiert worden war, wie ist es dort weitergegangen? Beide erzählten, ergänzten einander.
    Sobald Ehrl-König Platz genommen hatte, setzte sich die Syrgenstein so auf den Boden, daß sie ihren Kopf jederzeit an sein Knie lehnen konnte, und er kraulte, während er sprach, in ihren nicht gerade üppigen Haaren herum. Cosima von Syrgenstein war in der SPRECHSTUNDE noch nicht drangekommen, aber Ehrl-König hat schon zweimal ihren Namen genannt. Sie steht auf meiner Liste, habe er zweimal gesagt. Wer auf SEINER LISTE steht, der existiert. Cosimas Roman Einspeicheln ist allerdings auch noch nicht erschienen. Da saß sie also an seinem Bein mit ihrer rotgeränderten Nase. Er machte gelegentlich an dieser Nase herum, was nahelegt, er sei an den roten Rändern beteiligt. Er, Bernt Streiff, habe an diesem Abend mehr als einen Fehler gemacht. Plötzlich habe er es nicht mehr fassen können, daß Pilgrim mit Ehrl-König befreundet sei und den doch nicht dazu bringen könne, endlich ein

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