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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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des Stolcius von Stolcenberg, Viridarium chymicum, Frankfurt 1624.
    Und ich hab’s mir siebenzackig machen lassen in Amsterdam, sagte sie. Schönes Viridarium,
sagte sie und spielte mit ihrem Siebenzackigen im Kreis.
Blake, sagte ich, die sieben Brennöfen der Seele.
Schließlich ist Saturn unter den Planeten der siebte, sagte sie.
Mir wird ein bißchen schwindlig, sagte ich.
    Endlich, sagte sie und rief irgendwohin: Calvados. Darauf sah sie mich so an, daß ich sagen konnte, sagen mußte: Jaaa.
    Jetzt aber zu Hans Lach. Sicher wisse ich schon, daß sie ihn eingeschleust habe, ohne es ihrem Mann zu sagen, also sei sie schuld an dem, was dann passiert ist.
Ich: Aber er war’s doch gar nicht.
Sie: Passiert ist passiert. Und er war es. Moment mal.
    Und griff aus dem Regal, in dem die meisten Buchrücken vor Würde schimmerten, ein schlichtes Buch, ich erkannte es sofort: Der Wunsch, Verbrecher zu sein. Hören Sie, sagte sie, und las: Fort sein, ganz drunten, sich im Eis mästen, Gedanken schleifen wie Messer zu nichts anderem als Trennung, Trennung, Trennung.

    Illegitim leben. Im Verstoß leben. Nicht zu rechtfertigen. Aber es macht nichts. Man behilft sich Die Geschichte hat viele Türen, die ins Freie führen. Und wenn’s einem paßt, tritt man wieder ein. Mit einem verlegenen Räuspern oder mit einer auftrumpfenden Gebärde. Weder das eine noch das andere ist ernst gemeint, ihr Aufpasser.

    Eine Figur, deren Tod man für vollkommen gerechtfertigt hält, das wäre Realismus.

    Die Wespen, so zudringlich, als wollten sie so schnell wie möglich getötet werden.

    Sie sah mich an, mit blitzendem Blick sozusagen und verwegenem Mund und zückte ihren rechten Zeigefinger wie einen Dolch. Woran denken Sie, wenn Sie das hören? Ich ahnte, was sie meinte, tat aber so, als ahnte ich nichts.
    Feigling, rief sie. Das ist doch Ehrl-König pur, das ist die Vorstufe, besser: das Vorspiel. Weiter:

    Wie verständlich sind mir die Mörder. Schon wegen der Notwenigkeit, die sie zum Ausdruck bringen. Sie geben zu, daß sie nicht anders können. Ich kann auch nicht anders. Ich tue nur so, als könnte ich anders. Deshalb ist in mir und an mir alles so verrenkt.

    Wir stoßen einander von den Planken eines sinkenden Schiffs.

    Er dürstet nach Unmenschlichkeit, weil er sein will wie die, die ihn so gemacht haben.

    Sie erweisen mir Freundlichkeiten, die nichts als beleidigend sind.

    Wieder schaute sie auf und mich an. Und sagte: Hören Sie:

    Wenn du noch einmal hingehst, irgendwo, gehörst du entmündigt. Vorwärts nur noch durch Bewegungslosigkeit.

    Öffentlichkeit schmerzt, vergleichbar dem Sonnenbrand.
    Man kann sich auf den Augenblick des Überführtwerdens nicht vorbereiten. Man tut zwar nicht anderes mehr, als sich auf diesen Augenblick vorzubereiten, aber man weiß schon, daß man nichts von dem sagen wird, was man sich wieder und wieder zurechtgelegt hat. Es wird einem einfach nicht einfallen. Die Scham verhindert jede Regsamkeit des Geistes und der Seele. Nicht die Scham, daß man das und das getan hat – ach, diese Tat, das ist die reifste Frucht, die je ein Baum getragen hat –, sondern die Scham, daß man gleich überführt sein wird. Die Tat und das Überführtsein berühren einander nicht. Die Scham hat nur einen Grund: du wirst nicht nur überführt sein, du wirst mitarbeiten an deinem Überführtwerden. Aus jeder Geste und Regung, die du jetzt noch vermagst, stürzt nichts als das Geständnis. Und dafür schämst du dich. Daß du ihnen das Geständnis lieferst.

    Es ist, als bemühte ich mich, die Vorwürfe, die man mir macht, zu rechtfertigen. Als die Vorwürfe gemacht wurden, gab es noch wenig Gründe für sie. Die liefere ich jetzt nach.

    Die Bestrafung. Titel für meine Autobiographie.

    Was geschieht, wenn du gestehst? Du brichst ein. Auf der Stelle, auf der du stehst. Keine Hand streckt sich nach dir. Also los. Gesteh. Endlich.

    Und jetzt hören Sie, bitte, die rein saturnistische Stelle:

    Weit draußen unterm schwarzgefleckten Himmel, aus dem Boden schießt das weißeste Eis. Barfuß und stolpernd weiter. Die Sohlen schreien. Es regnet glühende Nägel, denen nicht zu entkommen ist. Schwefelmeere brodeln mit weltfüllendem Gestank. In diesem Augenblick senkt sich der universale Arsch Gottes aus dem Weltraum und scheißt seine Schöpfung ins Exit. Für immer. Welch ein Glück, denkt man, während man in der göttlichen Scheiße erstickt.

    Und zum guten Schluß:

    Wahnsinnsfragmente und Pointenschutt.

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