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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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diese Sorte Sprachgefühl grinst jeder. Aber hinter vorgehaltener Hand. Sie habe ein paar Ehrl-König-Sätze, die sie da und dort gehört habe, notiert, habe dazu notiert, wie oft gehört, also von wieviel verschiedenen Zeitgenossen ein und denselben Satz, und jeder habe merken lassen, daß Ehrl-König diesen Satz ihm höchstselbst gesagt habe. Also gleich mal: Von Musik verstehen Sie nichts, elfmal hat sie den von Verschiedenen gehört. Sechsmal mit dem Zusatz, Tristan und Isolde meinend: Der Coitus findet im Orchester statt. Dreizehnmal: Ein Autor ruft ihn im Hotel an, es geht um eine Verabredung, der Autor: Treffen wir uns an der Rezension. Vierzehnmal: Die deutschen Dichter meinen immer, die Leute müßten deutsche Dichter lesen, weit gefehlt.
    Plötzlich klappte sie die Akte zu und sagte, sie werde sich, immer wenn sie sich mit Ehrl-König beschäftige, selber unangenehm. Ihr Ekel vor seiner Makellosigkeit sei ihr unangenehm und doch vermöge sie nichts gegen diesen Ekel. Immer schon. Seit sie Ehrl-König kenne. Sie kenne ihn natürlich nur von Parties, vom Fernsehen, also immer nur als den, um den sich alles drehte, der sich präsentierte, der immer alle anderen schlechter aussehen ließ als sich. Selbst wenn er lobte, ein Buch oder einen Menschen, habe es immer so geklungen, als erweise er eine Gunst. ER lobte! Da konnte das Buch oder der Mensch wirklich froh sein, so gut weggekommen zu sein. Mit jedem Lob, mit jedem Tadel wurde er selber größer, mächtiger. Und diesem Wachstum sei sie nicht gewachsen gewesen. Sie habe, wenn sie sich gegen ihn eingenommen fühlte, immer gespürt, daß sie damit gegen das Gute votiere, denn er verkörperte ja das Gute schlechthin, immer im Dienste der Aufklärung, wie außer ihm allenfalls noch Wesendonck, der inzwischen ja deutlich Kreuzschmerzen hat vor lauter aufrechtem Gang. Und sie war dagegen. Nannte ihr Dagegensein dann allmählich saturnisch. Wissend, daß das Ersatzwörter seien für ein tiefer sitzendes Gefühl: es gibt das Gute nicht, das ist ihr Gefühl. Und wenn einer das Gute repräsentiert, dann lügt er. Beweisen kann sie nichts. Will sie auch gar nicht. Herr Landolf muß ihr auch gar nicht antworten. Ihr reicht es für heute. Sie ist erschöpft, enttäuscht, verbittert, erledigt! Eine Figur, deren Tod man für vollkommen gerechtfertigt hält, das wäre Realismus. Das ist ihr Satz. Als sie diesen Satz las, entdeckte sie Hans Lach.Von da an wuchs in ihr, ohne daß das je zwischen ihr und ihm ausgesprochen wurde, Vertrauen. Sie entschuldige sich nicht dafür, daß sie das erlebte wie eine Schwangerschaft. Vertrauen als Frucht. Wegen der spürbaren Zunahme. Wegen des Wachstums. Jetzt sage sie auch das noch – und es sei überhaupt noch nicht das Äußerste –, sie habe gewußt, daß Ehrl-König die Mädchen ohne Zehennägel als Schlechtes Buch niedermachen werde. Ehrl-König habe natürlich Pilgrim gegenüber schon vorher herausgeplappert, was er vorhabe. Er wußte ja, daß Pilgrim gegen ihn keinen seiner Autoren schützen konnte. Er war die Macht und die Macht war er. Und wenn man wissen will, was Macht ist, dann schaue man ihn an: etwas Zusammengeschraubtes, eine Kulissenschieberei, etwas Hohles, Leeres, das nur durch seine Schädlichkeit besteht, als Drohung, als Angstmachendes, Vernichtendes. Sie habe mitgekriegt, wie viele Schräubchen Ehrl-König drehte und drehen ließ, bis er der Koloss war, vor dem alle in die Knie gingen. Und das im Namen der Literatur. Im Namen Lessings, Goethes. Nicht im Namen Hölderlins. Da hat ja sein Chorknabe Nummer eins geschrieben, daß es das große Verdienst Ehrl-Königs sei mit allem Dunklen und Halbumnachteten aufgeräumt zu haben in der deutschen Literatur und Literaturgeschichte. Und hat Hölderlin genannt als Ahnherrn jener Tradition, die sich tiefsinnig gibt, aber nur mißglücktes Denken ist. Hölderlin! Im Namen der Aufklärung. Des Lichts. Ja, wer sollte da das Licht nicht hassen lernen! Eine Figur, deren Tod man für vollkommen gerechtfertigt hält, das wäre Realismus. Diesem Satz sei sie gefolgt. Sie habe auf das gehofft, was dann passiert sei, wenn sie sich auch nicht habe vorstellen können, wie es passieren würde. Aber daß es passieren würde, habe sie nicht nur gehofft, das habe sie gewußt. Und es bedurfte zwischen ihr und Hans Lach keiner Verabredung. Sie waren verbunden durch gemeinsame Erfahrung. Schicksalsgemeinschaft braucht keinen Plan, keine Intrige. Das führt unter allen Umständen zum einzig

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