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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Deshalb weiß ich, wie angenehm es ist, gehaßt zu werden. Und nach einer Pause! Er finde es aber doch beängstigend, daß er nicht mehr fernsehen könne. Offenbar gehört Selbstbewußtsein dazu, sich unterhalten lassen zu können. In ihm sei nichts Ansprechbares übrig geblieben. Er überlege, ob er eine Art Verein oder Club gründen solle mit solchen, in denen nichts Ansprechbares übrig geblieben ist. Club derer, die nicht mehr zuschauen können. Wissen Sie, Sie können jeden Schriftsteller nach der Art seines öffentlichen Auftretens beurteilen. Nicht im Fernsehen. Das Fernsehen verfälscht alle und alles. Außer Ehrl-König. Den hat das Fernsehen förmlich zu sich selbst gebracht. Aber in den Sälen, da treten die Schriftsteller auf, wie sie gesehen werden wollen. Und es ist egal, wie weit sie, was sie sein wollen, sind. Die einen treten auf wie eine Dorfkapelle, die anderen wie siegreiche Sportler, andere wie schwerelose Seelenwolken. Er trete immer auf halb Heiliger Franziskus, halb Dracula. Und fühle sich wohl dabei. Wieder Pause. Ich zeigte wenigstens, daß ich weiterhin neugierig sei. Das mit Marbach wissen Sie, sagte er dann. Und fuhr, mein Nichtwissen wahrnehmend, gleich fort und sprach jetzt über Ehrl-König so, daß deutlich wurde, er hatte die ganze Zeit über Ehrl-König gesprochen. Über sich und Ehrl-König. Ehrl-König hat, sagte er, dem Archiv in Marbach eine Büste von sich geschenkt, Bronze, eine schöne Nische wurde dafür gefunden, Ehrl-König hält die Rede auf sich, zieht das Tuch von dem Büstenkopf und sagt: Fürchtet euch nicht, ich bin es.
    Ich wollte sagen, daß man darüber, wenn Ehrl-König noch lebte, leichter lachen könnte als jetzt. Er sagte, er habe sich nichts vorzuwerfen. Er habe alles versucht, mit Ehrl-König auszukommen. Am Anfang habe er Ehrl-König, wo immer er den traf, zuerst einmal gratuliert, einfach gratuliert. Jedesmal habe Ehrl-König die Gratulation entgegengenommen und auf etwas bezogen, was Bernt Streiff noch gar nicht kannte. Er dann zu Ehrl-König: Er glaube, das sei wirklich das Beste, was Ehrl-König je gemacht habe. Und Ehrl-König dann: Er habe es, als es fertig war, mehrere Wochen liegen lassen, dann wieder vorgenommen, um zu prüfen, ob es wirklich so gut sei, wie er beim ersten Durchlesen fand. Und siehe da, es war wirklich so gut. Ehrl-König sei sicher durch nichts so mächtig geworden wie durch seine Unberechenbarkeit. Vielleicht sei ihm die dann zum Verhängnis geworden. Zwei Wochen vor dem fatalen Ereignis zeigt er sich noch beim PILGRIM Empfang auf der obersten Plattform mit Hans Lach, im Gespräch, an der Reling , niemand durfte stören, also die reine Harmonie zwischen zweien, die man sich traulicher nicht denken konnte. Am nächsten Tag sehe ich Hans Lach in der Stadt. Der geht wie mit anderen Schuhen. Richtig federnd geht der. Wenn er nicht aufpaßt, fliegt er bei jedem Schritt ein bißchen in die Luft. Und er paßt tatsächlich nicht auf. Er hüpft bei jedem Schritt. Aber nicht durch Anstrengung und Kraft, sondern von selbst. Es wirft ihn einfach in die Höhe. Er ist leicht. Er hebt ab. Wir sehen gerade noch sein Gesicht. Wie geliftet. Und zirpt. Vor Zufriedenheit. Zum Glück hat er überhaupt keine Zeit. Ich hätte nicht gewußt, wie ich hätte reden sollen mit ihm. So ein Blödsinn, sagte Lydia Streiff.
    Und er: Ich sag das nur, daß ihr versteht, wie der Hans Lach dann seine Vernichtung erlebt hat.
Du kannst noch so genau wissen, der und der ist unberechenbar, wenn du’s nötig hast, verläßt du dich doch auf ihn, als sei er das kleine Einmaleins. Und dann ist er plötzlich die Kehrseite des Mondes, von der du nichts weißt.
Du weißt sowieso nur was von dir, sagte seine Frau.
Und er: Bloß gut, daß du nichts von dir weißt, sonst …
Sie: Sonst?! Ihr Ton war drohend.
Er: Wir haben Besuch.
Sie: Eben!
    Die beiden würden ihr Gespräch mit noch mehr Bier auch ohne mich fortsetzen. Ich sagte, ich müsse gehen, sie starrten mich an, offenbar überrascht, weil ich noch da war. Und sprachen schon weiter, als ich noch gar nicht ganz draußen war. Ich wußte, daß ich mich jetzt ganz und gar darauf konzentrieren mußte, über dieses Hühnerleitertreppenwerk ohne Sturz hinunterzukommen.
    Lydias Gesicht wirkte nach. Die Frau eines Mannes, der sich für erfolglos hält. Ich stellte mir vor, daß Bernt Streiff, wenn ihm in ein paar Jahren plötzlich ein Erfolg gelingt, ein ganz anderes Gesicht haben wird als jetzt. Das Gesicht seiner Frau wird,

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