Tod Eines Kritikers
was es jetzt ausdrückt, nicht mehr los. Diese Zeichnung bleibt. Er, rund, disponibel. Daß er Ehrl-König Michelin-Männchen nannte und dabei sich selber übersehen hatte, wunderte mich.
Sobald ich auf der Straße war, wußte ich, daß ich, als die zwei mir unbequem wurden, nicht einfach hätte gehen dürfen. Dieses Paar lebte schon immer in der Szene. Wenn Bernt Streiff von dieser Szene sprach, nannte er sie ssien.
Aber am nächsten Morgen rief er an. Das nicht vorher gewußt zu haben, warf ich mir gleich vor. Das hätte ich mir ausrechnen können. Ausrechnen müssen. Er mußte doch noch sagen, was er, wenn seine Frau dabei war, nicht sagen konnte.
Lydia war mager, mehr Knochen als Fleisch, und das durch Erfahrung verhärmte Gesicht, aber sie war doch die, der er es recht machen mußte. Er konnte sich ihr gegenüber weniger leisten, als sie sich ihm gegenüber leistet. Sie war die Chefsekretärin, die von ihrem Chef sprach, als wäre der ihr Sekretär. Vielleicht hatte Lydia, was Bernt Streiff mir dann am Telephon sagte, schon oft anhören müssen. Dann war es Zartgefühl, was Bernt Streiff bewog, mir diese Erfahrungen erst am Telephon vorzutragen.
Pilgrim ist an allem schuld. So begann er. Pilgrim mochte mich noch nie. So reich wie Pilgrim werden einmal meine Erben, wenn sie veröffentlichen, was ich alles geschrieben habe. Es wäre alles anders gekommen, wenn er, Bernt Streiff, nicht diesen Fehler gemacht hätte, diesen alles entscheidenden Fehler. Ehrl-König, damals noch ein in Zeitungen schreibender Kritiker, habe die Sonnenflecken , den ersten Band der Tulpen Trilogie, eher wohlwollend besprochen, und er, Bernt Streiff, macht den Fehler aller Fehler, er schreibt dem einen Brief und bedankt sich für diese Kritik. Und er wisse todsicher, daß Ehrl-König ihn seitdem für eine Nulpe halte. Sich bedanken, das heißt, gestehen, du hast es nicht verdient, dir ist etwas geschenkt worden. Dann eine Passage, die mir demonstrierte, daß es in dieser Szene keine Tatsachen gibt, sondern nur Versionen.
Er habe nicht übersehen können, sagte er, daß jeder in seinen Arbeiten etwas anderes schlecht finde. Ich wollte schon sagen, das sei doch wunderbar, da widersprächen die einander, höben sich also auf. Aber er addiert die Mäkeleien und sagt: soviel ist schlecht bei mir, daß jeder etwas Schlechtes finden kann. Dann lachte er und sagte: Das war jetzt Ironie. Ich sagte: Gott sei Dank. Dann er wieder ganz nüchtern: Wenn man einen ganz und gar treffen will, muß man im Stande sein, gegen ihn so extrem zu verfahren, daß er, auch wenn er sein Leben lang darüber nachdenken würde, auf nichts käme, was ihm die Härte des Vorgehens gegen ihn erklären könnte. Der Schlag, für den man kein Motiv findet, der sitzt. Das ist der reine Schlag. Und die zweite Bedingung für das Geschlagenbleiben des Geschlagenen: Er hat keinen, dem er einen solchen Schlag versetzen könnte. Bitte, kommentieren Sie jetzt nicht. Es gehört zu meinem Beruf, mir das Nötige selber zu sagen. Wettern gegen das Geschick ist eines Intellektuellen unwürdig. Wenn allmählich alles zur Verletzung wird, weiß man, daß man falsch eingestellt ist. Das zu wissen nützt nichts. Es ist eine Zusammenarbeit vieler, die nichts von einander wissen. Jeder tut da nur seine Arbeit.
Ob er mir etwas vorlesen dürfe? Es habe mit dem Fall zu tun. Auch wenn es damit nichts zu tun hätte, sagte ich, ich sei gespannt. Bitte keine Blankoschecks des Wohlwollens, sagte er. Er müsse mich warnen, Mißerfolg sei eine Krankheit, die den davon Befallenen sozial unverträglich mache. Der Mißerfolgreiche, wenn ich ihm diese Prägung gestatte, sei für seine Umgebung peinlicher als für sich selber. Dem Mißerfolgreichen ist sein Mißerfolg ein ungeheures Vergrößerungsglas, mit dem er die ganze Welt sieht. So genau, wie sie kein Erfolgreicher je sehen kann. Das sei ja eine der Bedingungen des Erfolgs, und zwar in jedem Beruf: diese Unfähigkeit, die Welt wahrzunehmen, wie sie wirklich ist. Der Erfolgreiche verklärt von Anfang an. Und selbst wenn er gegen etwas oder gegen jemanden ist, er ist es auf eine verklärende Weise. Er bleibt immer übrig als prima, die Welt kann froh sein, daß es ihn gibt. Und die Welt ist gut, weil es einen wie ihn gibt. Und sie ist gut, weil einer wie er in ihr Erfolg hat. Also die fundamentale Mißglücktheit der Welt wie sie ist, kommt nicht vor bei ihm. Das macht ihn erfolgreich. Was nicht so ist, wie es sein soll – und das kann viel sein
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