Tod Eines Kritikers
alles durch Macht. Gut, die hatte er sich geschaffen. Aber er hätte sich, um erfahren zu können, wer er wirklich war, seiner Macht entledigen müssen. Dann hätte er erfahren, was die speichelleckenden Professoren und andere Armleuchter wirklich halten von ihm. So eine naiv-idealistische Vorstellung: als gebe es zuerst ihn, dann die Macht als eine Zutat, eine Ergänzung, ein Schmuck. Er war nichts als seine Macht. Irgendwann wäre die zerfallen, und übrig geblieben wäre das grinsende Männlein mit einem etwas zu breiten Mund. Theorielos und praxisfern. Man hat seine Zitate gezählt, es sind dreiundzwanzig. Adieu.
Und legte auf. Dieses dann doch rasche Auflegen hat dem Gespräch entsprochen. Irgendwie eben beziehungsweise sowohl als auch. Ich hab mein Lehen, und ich hab Lydia. Was doch die Anlaute nicht vermögen! Hieße seine Frau Karin, hätte er gesagt: Ich hab mein Konto und ich hab Karin. Nein, eher so: Ich hab Karin und hab mein Konto. Zum Glück hat er Lydia.
7
Wir werden Sie mit unserem Besuch beehren, schuld daran sind Sie selber, mein Lieber, da Sie doch ein Buch über Ehrl-König schreiben.
So hatte noch nie jemand ein Telephongespräch mit mir eröffnet. Rainer Heiner Henkel. Mit WIR, meinte er sich und seine Schwester Ilse-Frauke von Ziethen. Soviel hatte ich auch schon mitgekriegt, daß der fast berüchtigt geheimnisvolle RHH nie ohne seine Schwester auftritt. Und so fuhr er fort: Uns nicht gehört zu haben zum Thema Ehrl-König, das wäre eines Gelehrten vom Rang Michael Landolfs nicht würdig.
Es dauerte, bis ich dazu kam zu beteuern, daß ich kein Buch über Ehrl-König schreiben wolle, mein Projekt heiße: Nachweis der Unschuld Hans Lachs. Aber, rief er, eben dazu müssen Sie ein Buch über Ehrl-König schreiben. Er nehme doch an, mir gehe es um die Unschuld per Motiv, daß Lach es getan habe, stehe außer Zweifel. Wie auch immer, Ilse-Frauke von Ziethen und er müßten bei mir eindringen. Um meinetwillen. Wann also? Ende der Woche vielleicht, sagte ich.
Aber mein Lieber, wir sind heute in der Stadt, haben heute morgen um fünf Uhr dreißig die Baldsburg verlassen, wollen aber heute abend wieder droben sein, also unsere Stadtwohnung, die wir hassen, werden wir gar nicht betreten. Wann also?
Gegen drei, sagte ich.
Das lasse sich hören, bis dann.
Ich rief sofort Silbenfuchs an, erbat Informationshilfe. Der Professor wußte immer mehr, als ich wissen konnte. Daß ich nicht selber versucht hatte, RHH zu erreichen, nahm ich mir jetzt übel. Über Ehrl-König alles wissen wollen, und das ohne RHH —, das war lächerlich. Ich würde auch dem KHK hinreiben, wie ich das fände: Ermittlungen im Fall Lach/Ehrl-König, und dann Rainer Heiner Henkel nicht einbeziehen!
Der Professor war da. Das Schöne bei diesem Mann: Er freute sich, wenn man ihn etwas fragte. Warum weiß ich, was ich weiß, wenn keiner kommt und es wissen will, das war immer seine Eröffnung. Und er wußte viel. Er war ein Spezialist für alles. Berühmt sein Satz: Europa, das ist für mich Heimatkunde.
Da er in seinem Arbeitszimmer eine Freisprechanlage hatte, konnte er, während er sprach, gehen. Daß er, um sprechen zu können, gehen mußte, war bekannt. Auch an der Ludwig Maximilians Universität ging er, je heftiger er sprach, um so heftiger hin und her. Er nannte sich auch einen Hin- und Herdenker, im Unterschied zum Einbahnstraßendenker, und seine Zuhörer wußten, wer gemeint war: Wesendonck. Ich setzte mich, seit wir uns besser kannten, öfter in seinen Hörsaal. Am liebsten, wenn er über Mittelalterliches sprach. RHH, rief er also, RHH, Ehrl-Königs Souffleur, Einpeitscher, aber auch Dompteur, da sind Sie bei mir an der richtigen Adresse. Und legte los: Rainer Heiner Henkel, genannt RHH, ein farbenblinder Kunsthistoriker, läßt zuerst fünf Gedichtbände drucken. Die gehören sozusagen in sein Wappen. Weithin bekannt wird er dann durch sein Buch: Warum ich keine Gedichte mehr schreibe . Leute, die sich nie für RHH’s Gedichte interessierten, lasen neugierig bis gierig, warum RHH keine Gedichte mehr schrieb. Nämlich: Fünf Bände Gedichte habe er schreiben müssen, bis er erkannt habe, wie recht Adorno gehabt habe, als er sagte: nach Auschwitz keine Gedichte mehr. Aber er tröste sich auch damit, gab er bekannt, daß die Erde in 5 758 Jahren von denen, die diese Erde bis dahin bis zur Unbewohnbarkeit verwüstet hätten, verlassen werde, und diese Ausreisenden würden alles mitnehmen nur keine Literatur, und schon
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