Tod Eines Kritikers
–, wird von ihm radikal gerügt, verdammt. Er ist gekommen, damit die Welt besser werde. Er ist der radikalste Kritiker des Zustands der Welt, aber durch seine Seinsstimmung wird erlebbar: die Welt ist zu retten. Eben durch ihn. Und dafür ist die Welt ihm dankbar. Und wenn man das nicht bringt, diese Verbesserbarkeit der Welt, wenn man findet, die Welt sei ein ewiges System zur Vereitelung des Lebens, dann ist man der Mißerfolgreiche, geht den Leuten auf die Nerven, sich selber aber nicht. Zum Glück. Die Befriedigung des Mißerfolgreichen ist tatsächlich, daß er die Welt, der er auf die Nerven geht, absolut kennenlernt. Und dadurch wächst in ihm ein Kenntnisreichtum, in dem sich leben läßt wie in einem farbensatten, klangüberströmten Paradies. Daß die Bedingung jeder Einsicht der Mißerfolg ist, macht den Mißerfolg, wie Sie sich denken können, zum höchsten Gut überhaupt. Sind Sie noch da? Ja, natürlich, sagte ich in einem möglichst fröhlichen Ton.
Ich wollte Ihnen doch etwas vorlesen, sagte er. Aber nur, wenn es Ihnen recht ist.
Es sei mir recht, sagte ich.
Klingt nicht überzeugend, sagte er.
Ich sei wirklich gespannt, und wenn das, was er mir vorlese, auch noch mit dem Fall zu tun habe,
erst recht. Also bitte.
Also bitte, sagte er, ich lese vor.
Vorläufiger Nachruf.
Sie sind noch da?
Ja, natürlich.
Also:
Vorläufiger Nachruf.
Über den Tod eines Menschen sich freuen, das schließt dich auf eine bisher noch nicht empfundene Weise aus der Gemeinschaft der Menschen aus. Sich über den Tod eines Menschen der dir nichts als Ungutes getan hat, nicht zu freuen, macht dich vor dir selber zu einem Geknebelten, zu einem Heuchler, zu einem ein für allemal Betäubten. Hans Lach in Der Wunsch Verbrecher zu sein : Eine Figur, deren Tod man für vollkommen gerechtfertigt hält, das wäre Realismus. Der Satz ist richtig, kann ich sagen, als Satz in der Kunstwelt. In Wirklichkeit, unanwendbar. Oder bin ich feige, Hans Lach aber ist kühn? Trotzdem, ich wage nicht zu sagen, daß ich mich freue über den Tod des Mannes, dessen Namen ich nicht nennen will. Ich wage nicht zu sagen: Ich freue mich. Ich freue mich ja auch nicht. Bin ich vielleicht froh? Ich werde keine Grammatik finden, die es mir ermöglicht, auf diese Nachricht mit Genugtuung zu reagieren. Ich gehe so weit, wie ich überhaupt kann, wenn ich sage: Ich finde, ich sei feige, wenn ich nicht sage, daß mich dieser Tod nicht traurig macht. Das Gemeine ist, daß dieser Tod unsereinen zwingt, sich zu verhalten. Die gewöhnliche Trauer, das übliche Bedauern, das schnelle Zurück zur Tagesordnung —, dieser Tod, der Tod dieser Figur, läßt das nicht zu. Es ist als ob dieser jetzt Tote uns zwingen wolle, zu seinem Tod Ja zu sagen oder Nein zu sagen. Der Entwederodermann! Und ich war immer ein Gegner seines Ja oder Nein. Immer! Von Natur aus Aus Erfahrung und aus Bedürfnis. Und behalte dies bei. Das spüre ich. Auch jetzt im Todesfall lasse ich mich nicht von Herrn E-K zwingen, mich auf ein Ja oder Nein einengen zu lassen, sondern ich juble geradezu hinaus, daß ich zu seinem Tod ganz genau so laut Ja rufe wie Nein. Genauso laut Nein wie Ja! Ich singe mein Sowohlalsauch.
Der Tod ist zwar die schroffste Erscheinungsart des Entwederoder, aber durch das
Sowohlalsauch wird er erst zu einem Erträglichen, erträglich für Menschen. Ich bin so frei und
verbessere Hans Lachs: Eine Figur, deren Tod man für vollkommen gerechtfertigt hält, das wäre Realismus, wie folgt: Eine Figur, deren Tod man sowohl für vollkommen gerechtfertigt wie auch für überhaupt nicht gerechtfertigt hält, das wäre Realismus. Und warum Ehrl-König es uns so schwer gemacht hat, uns zu ihm sozusagen moralisch zu verhalten, kann daran liegen, daß er charakterlich etwa den Zuschnitt einer Disney-Figur hat. Großkasper, das wäre überhaupt der einzig richtige Name für ihn. Großkasper!
Sind Sie noch da?
Ich sagte: Ja.
Und, sagte er.
Sowohl als auch, sagte ich.
Er: Danke.
Pause. Ich wagte nicht aufzulegen. Er hatte angerufen, er mußte auflegen.
Dann sagte er plötzlich: Wenn ich eine Akademie wäre, würde ich eine Preisaufgabe stellen: Wann hat es das letzte Mal im Literarischen eine solche Machtausübung gegeben wie in der Ehrl-Königschen SPRECHSTUNDE ? Die Antworten könnten ebenso interessant wie peinlich ausfallen.
Und hier fängt sein Groll an, seine Wut, auch gegen Hans Lach. Wie kann ein denkender Mensch der Gerechtigkeit so in den Arm fallen. Ehrl-König war
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