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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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der Tür steht! Er kniet nicht davor, er steht! Und wovor er steht, das ist das weibliche Genital, das sieht doch ein Blinder. Und der immer davorstehende Türhüter ist spitznasig und im Pelz, also wer dazu Psychoanalyse braucht, dem ist nicht mehr zu helfen.
    Ilse-Frauke, ich meine, wenn ich aus dem, was er uns des langen und breiten auftischte, eine bündige Formulierung machte, sie aufschrieb und ihm hinreichte für die nächste Show, stand dann da: Zwei Möglichkeiten, eine Frau kennenzulernen, im Bett oder wenn sie betrunken ist. Und so wie sie ist, wenn sie betrunken ist, ist sie dann auch im Bett. Entsetzlich, sagte IlseFrauke. Sie ist Feministin, sagte er, das macht sie strenger, als sie von Natur aus wäre. Dann fragte er, wo es zum Klo gehe. Rechts, dann erste Türe links. Sie sagte, als er draußen war, ihr Bruder habe unendlich viel zu leiden gehabt unter Ehrl-Königs Launen, aber mit der Todesnachricht werde er überhaupt nicht fertig. Wenn er jetzt Negatives über Ehrl-König herausbringe, habe sie den Eindruck, er wolle sich den Verlust kleinreden. Egal wie es war, eine lebenslängliche Bindung läßt sich nicht durch nachträgliche Bewertung kleinreden. Das eigene Leben kann doch nicht falsch gelaufen sein. Das hielte man nicht aus.
    Er trat ein mit dem Satz: Ich war ja auch sein Waffenschmied. Ich freute mich, wenn er in einer Talkshow einen Auftrumpfenden einfach umwarf mit dem Satz: Von Musik verstehen Sie nichts, da sind Sie schwach auf der Brust. Da bleibt jedem die Antwort im Hals stecken. Wie soll er jetzt beweisen, daß er etwas von Musik verstehe. Und es gibt kaum etwas Disqualifizierenderes, als nichts von Musik zu verstehen. Ich riet ihm sogar gelegentlich anzudeuten, daß er Streichquartette komponiere, aber über die Wiener Neuromantiker komme er nicht hinaus. Das war ihm nicht witzig genug. Er brauchte Lacher wie wir Sauerstoff.
    Ilse-Frauke, weißt du noch, wenn er zurückkam und berichtete, wie erfolgreich er wieder mit diesem und jenem Satz gewesen war. Und es waren alles ganz und gar seine Sätze. Auch die Technik, andere mit der eigenen Gedächtniskraft zu bluffen, von mir erdacht, dann war’s seine Hauptwaffe. Einfach etwas Konkretes genau sagen und im Ton schon merken lassen, daß man wisse, der andere wisse genau das, was man selber gerade sagt, nicht. Der andere ist beeindruckt, denkt nicht mehr daran, daß er ja auch etwas weiß, empfindet jetzt nur noch seinen Mangel: er weiß nicht, womit ich aufgetreten bin. Das lasse ich ihn spüren, beute seine Schwäche aus. Das habe ich Ehrl-König beigebracht. Wer heute über Ehrl-König spricht und ihn jetzt, da er tot ist, erst richtig rühmen will, der zitiert die Stellen, mit denen Ehrl-König, von mir trainiert, paradierte: Wann genau hat die Jungfrau von Orleans mit Lionel geschlafen? In welcher Oper findet der Geschlechtsverkehr im Orchester statt? Auf den kühnsten Satz ist er selber gekommen. Als ihm in einer Talkshow vorgehalten wurde, daß er eine Autorin zu schnöde abgetan habe, er blitzschnell: Mr. Hefner zahlt nach Potenz. Also der Playboy-Erfinder bezahlt seine Mädchen nach dem, was sie bei ihm bewirken. Und wie er das sagte, wurde sofort verstanden und bejubelt. Das kühnste Gerücht stammte aber von mir: Ehrl-Königs sexuelle Delikatesse, Schwangere bis zum dritten Monat. Pfui, rief Ilse-Frauke. Ist ja nicht angekommen, Liebste, beruhige dich. Aber wie virtuos er praktiziert hat, mit der schlichten Entgegensetzung zweier Superlative jeden jederzeit klein zu kriegen beziehungsweise ihn mundtot zu machen. Siehe Lukas 7, 28: Denn ich sage euch, unter den von Weibern Geborenen ist keiner größer als Johannes der Täufer. Aber im Reich Gottes ist auch noch der Kleinste größer als er. Auf Goethe angewendet: Keiner ist größer als Goethe, aber wenn er gute Kritiken über sich im Land herumschickte, war er so klein wie der Kleinste und eigentlich, weil er doch der Größte war, kleiner als der Kleinste. Und so weiter, mein Lieber. Sie sehen, wir sind zu Ihnen gekommen, um uns Ihnen auszuliefern. Und sind gespannt auf Ihr Buch.
    Ich schreibe wirklich kein Buch, sagte ich. Ich will lediglich Hans Lachs Unschuld beweisen. Und er: Vergessen Sie nicht, daß Ehrl-König nicht skifahren konnte. Ilse-Frauke und ich sind in den zehn Jahren Baldsburg zwar keine guten, aber doch uns selber genügende Skifahrer geworden. Und sind weiß Gott auf flachem Land geboren. Aber Ehrl-König hat sich immer mit Schauder gewendet, wenn wir

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