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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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unbeirrbaren Instinkt, in jedem Augenblick die einzig richtige Bewegung zu machen, sich auf den einzig richtigen Fleck zu stellen und dann zu sagen, er habe sich sein Leben lang immer zwischen alle Stühle gesetzt. Das war seine Genialität: sich alles zu glauben, wenn es ihm nützte. Das mit immer zwischen alle Stühle gesetzt ist übrigens die Formel jedes zweiten Erfolgreichen. Sie haben kassiert, was es zu kassieren gibt, und sagen nachträglich leidensglorios, daß sie sich immer zwischen alle Stühle gesetzt hätten. Zu Ehrl-Königs Ehre sei übrigens gesagt, daß so ziemlich alles, was von Geschlechtsverkehr handelt, nicht von RHH stamme, sondern von ihm selbst. Er, RHH, sei religiös gebunden, Ehrl-König nicht. Ehrl-König sei der freieste Mensch gewesen, dem er, RHH begegnet sei. Und als er erlebte, wozu ein wahrhaft freier Mensch im Stande sei, fand er Freiheit nicht mehr desiderabilis.
    Nicht vergessen dürfe er, wie wichtig es für eine solche Autoritätsfigur sei, alle anderen herabzusetzen. Als er, RHH, diese Herabsetzungslust bei Ehrl-König entdeckt habe, habe er sie richtig entwickelt und fort und fort mit Details gefüttert, die dann einfach zu jedem Ehrl-KönigAuftritt gehörten. Wenn er gerade einen positiven Superlativ gelandet hatte, zum Beispiel über Thomas Mann, dann im nächsten Satz, der hochgerühmte Essayist Thomas Mann hat alle seine Zitate aus zweiter Hand, weder von Nietzsche noch von Wagner hat er je etwas in der Hand gehabt. Oder wenn er Goethe gerade als den Allergrößten gelobt hat, dann gleich draufgesetzt, daß auch dieser Goethe eine gute Besprechung seiner Wahlverwandschaften vom Verleger hat extradrucken lassen, um sie wie wild herumzuschicken. Ehrl-König habe einmal zu ihm gesagt, er sei zu reiner Verehrung nicht im Stande. Und da nichts in der Welt reiner Verehrung wert sei, erfülle er eine für die Welt unersetzbare Funktion: Die Aufhebung jeder Verehrung durch ein Gegenteil. Übersehen habe der Meister dabei, daß er zur Selbstverehrung sehr wohl im Stande war.
    Er, RHH, wisse, Herr Landolf sei durch solche Nachrichten nicht zu erschrecken, ihm sei bekannt genug, daß kaum einer von den Wichtigen, wenn er im Fernsehen auftritt, eigenen Text spricht. Angesichts eines Publikums, das in die Millionen geht, wäre das einfach zu riskant. Stellen Sie sich vor, da spräche einer, wie ihm gerade ums Herz ist, dann kämen die Millionen auf die Idee: der ist ja auch nicht besser als ich, und das wäre das Aus. Wer auftritt, muß Paradesätze haben, und wenn er dazwischen Eigenes bringt – jetzt rede er von Ehrl-König –, dann muß er das Eigene, egal was es ist, so superlativisch emotionalisieren, aufblasen, daß das Publikum, wenn schon nicht durch eine Pointe, dann doch vom Heftigkeitsgrad betäubt wird. Er, RHH, habe Ehrl-Königs Aussprache gewisser Wörter solange mit ihm geübt, bis dadurch eine Ehrl-König-Kenntlichkeit erreicht war. Dadurch wurde Ehrl-König von jedem imitierbar, und nichts macht populärer als Imitierbarkeit. Denken Sie nur an den Ehrl-König-Sound, wenn er über doitsche Scheriftstellerrr spericht und über die Sperache, die sie schereiben und wie scherecklich es ist, sein Leben geweiht zu haben einer Literatür, die zu mehr als noinzig Perozent langweilig ist. Das hat er gesagt! Und vielleicht hat er recht.
    Ich war übrigens gar nicht überrascht, als er mich einmal regelrecht beauftragte,
    herauszubringen, auf welchem Weg, mit Hilfe welcher Leute man das Nobelkomitee in Stockholm dazu bringen könnte, in die Preiswürdigkeit auch Kritiker aufzunehmen, da die ja für das Gedeihen der Literatur deutlich wichtiger seien als dieser und jener Belletrist. Den Präsidenten der Deutschen Akademie forderte er direkt auf, ihn für den Büchnerpreis vorzuschlagen und hoffte, dieser Präsident werde das, weil er als Autor auf Ehrl-König angewiesen war, auch tun. Als sich das als schwierig erwies, war er wochenlang nichts als wütend. Tagtäglich wütend. Flüche ausstoßend. Verwünschungen. Drohungen. Aber er erholte sich. Sie konnten ihm den Weg zur Unsterblichkeit mit Schwierigkeiten pflastern, verbauen konnten sie ihn nicht. Und abbringen von diesem Weg und Ziel schon gar nicht. Längere Pause.
    Ich zeigte Zustimmung. Ich wußte allmählich, warum mir dieses Paar angenehm war. Sie hatten das und das erlebt und dem entsprechend waren sie jetzt. Eine vollkommene Verhältnismäßigkeit von Erfahrung und Ausdruck. Das macht glaubwürdig. Und Glaubwürdigkeit

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