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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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besuche. War sie bei ihm? Was wurde geredet? Hat er überhaupt geredet mit ihr?
    Wahrscheinlich nicht, sonst hätte mir der KHK davon berichtet. Die Frau ließ so wenig mit sich reden wie ihr Mann.
    Auf ihrem Flügel lagen die drei Ringe, die sie zum Spielen nicht an den Händen brauchen konnte. Sie hatte sich stimmungslos gegeben. Sie wollte mit mir nichts zu tun haben. Sie versprach sich von mir nichts.
    Die zwei Sätze über das Alibi. Ihr kam es auf etwas anderes an als auf das, was sie da sagte. Es klang, als interessiere sie, was ermittelt werden konnte, überhaupt nicht. Daß er’s nicht getan hatte, wußte sie besser als ich. Sie wollte nur wissen, wo er in dieser Nacht gewesen war. Und wußte es doch. Wahrscheinlich. Aber wollte es sicher wissen.
    Am besten wäre es, sich RHH als Täter vorzustellen. Der haßte Ehrl-König, wie Hans Lach den nie hassen konnte. Hans Lach war beleidigt, erzürnt, enttäuscht. RHH war um sein Leben gebracht worden. Was er geschrieben hatte, hatte er geschrieben, aber seine Erfindung EhrlKönig hatte ihn verlassen, hatte sich losgesagt. Er hatte sich in Ehrl-König mehr verwirklicht als in seinem Geschriebenen. Er war der gewesen, der jede Nacht angerufen worden war, ein, zwei Stunden lang. Nicht vergessen: RHH hatte gesagt, daß Ehrl-König während dieser Nachtgespräche ununterbrochen gegessen habe. Und er, RHH, hatte nie gefragt, was der immerzu kaue und knabbere. Er habe es immer beleidigend gefunden, daß seine Figur, wenn er sie anhöre und mit dem Nächstnotwendigen versehe, in einem fort fressen müsse.
    Wie hatte Bernt Streiff gesagt: Als Autor liest man einen Verriss doppelt so langsam wie ein Lob.
    Zu Hause schlug ich sofort Hans Lachs Der Wunsch, Verbrecher zu sein auf. Ich erwartete von diesem Buch andauernd die endgültige Auskunft. Um die Schuld oder die Unschuld eines Schriftstellers zu beweisen, braucht man doch keine Indizien, die Bücher genügen.
    Weil er sich nicht traut, etwas von sich zu erzählen, erzählt er es so, als handle es sich um einen Bekannten. Dann wird der scharf verurteilt. Zynisch, debil u.s.w. Dann weiß er, was er zu erwarten gehabt hätte, wenn er gestanden hätte, daß es sich um ihn selber handle. Oder ist das eine Routine-Reaktion: Man freut sich, verurteilen zu können, und kann das natürlich leichter, wenn der, um den es sich handelt, nicht da ist?

    Der letzte Satz machte wieder alles zunichte. Dann aber:

    Er kann nicht so kämpfen wie sein Gegner, weil er gegen das Gute kämpft. Er muß seinen Kamp im Geheimen führen; er darf nur Schläge anbringen, wenn es niemand sieht. Für ihn gibt es keinen Sieg. Das Gute und die Guten sind unbesiegbar. Nach jedem Krieg hat sich bis jetzt herausgestellt, daß das Gute gesiegt hat. Gibt es etwas Unmenschlicheres als Gerechtigkeit? Etwas Gemeineres als das Gute Gewissen?

    Das waren die Stellen, die Julia Pelz für Hans Lach einnehmen.

    Mein Gott und dein Gott kennen einander nicht.

    Von Gott zu sprechen, ist eine Art, von sich zu sprechen. Für Julia Pelz ist Moral deshalb ein anderes Wort für Lüge. Sie tendiert antiuniversalistisch. Eine Frau, eine Ichkraft, grellste Selbständigkeit, schneidendste Unabhängigkeit. Ich spürte, daß sie mich mehr beschäftigte, als ich wollte.
    Ich mußte Hans Lach herausholen aus seinem Schock. Der KHK nennt das Schock. Je mehr ich von Hans Lach las, desto deutlicher wurde mir das Motiv für sein Verhalten. Er schämt sich dafür, so behandelt worden zu sein. Er schämt sich absolut. Jeder, der mit ihm spricht, will mit ihm über das sprechen, dessen er sich schämt. Und am wenigsten ist er diesen Zudringlichkeiten in Stadelheim draußen ausgesetzt. Hier in der Stadt müßte er andauernd reden, Fragen beantworten von Menschen, die glauben, ein Recht zu haben, ihm Fragen zu stellen. Da draußen kann er jede Antwort verweigern. Ehrl-König, die Macht. Er, die Kreatur, die man treten kann, bis sie sich selber nicht mehr kennen will. Er will sich selber nicht mehr kennen. Vor Leuten. Wahrscheinlich ist er sich so deutlich wie noch nie, so nah wie noch nie. Aber das darf er vor Zeugen nicht zugeben. Er darf den, der da vorgeführt wurde vor ein paar Millionen Zuschauern, nicht kennen, nicht verteidigen, nicht erklären. Er darf sich nicht mit dem identifizieren. Und nichts tun oder sagen, was ihn mit dem Zugrundegerichteten identifizierbar macht. Wenn er zugibt, daß er der ist, der da vorgeführt wurde, hat jeder und jede die Macht, weiterzumachen in

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