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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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zärtlich und ein bißchen geschwätzig, das heißt, wenn sie nicht auf Abschied gedrängt hätte, stünden sie wahrscheinlich immer noch dort. Ach wär’ es doch so. Daß er nicht mehr leben soll, ist ihr unfaßbar. Solange Ehrl-König nicht tot aufgefunden werde, weigere sie sich, ihn für tot zu halten. Daß Hans Lach verdächtigt werde, tue ihr weh. Daß der kein Alibi habe, sei tragisch. Hans Lachs Drohungen halte sie für nichts als laute Wehleidigkeit eines zu kurz Gekommenen. Für weitere Auskünfte stehe sie jeder Zeit zur Verfügung. Wenn sie nicht gerade im Wasser sei. Also zwei Stunden täglich nicht. Was ich dazu sage?
    Ich sagte, daß ich mir die Zeitung beschaffen und den Text analysieren werde. Er erbat sich, falls ich auf etwas komme, benachrichtigt zu werden. Einer von uns zweien kommt immer voran, sagte er. Und damit auch der andere, sagte ich. Wenn ich die Unschuld beweise, sind Sie genau so am Ziel wie ich. Und wenn ich die Schuld beweise, Sie auch, sagte er.
    Ich hatte mich an diesem Tag bei Frau Lach angemeldet. Ich wollte nur die von Ehrl-König gewidmeten Exemplare sehen. Zu Fuß vor in die Böcklinstraße. Es war etwas wärmer geworden, der festgetretene Schnee weichte auf.
    Ich hatte den Fuß noch nicht auf die unterste Stufe gesetzt, da hörte ich das Klavier, nein, das war sicher ein Flügel, und was da gespielt wurde, war Bartók. So überraschend und dann gleich nicht mehr anders vorstellbar steigen die Töne bei Bartók herab. Eine der beiden Elegien spielte Frau Lach, die erste, sie übte, kam mir kühn vor. Ich hatte mich diesen Stücken gegenüber längst auf die CD zurückgezogen. Frau Lach war Klavierlehrerin gewesen. Diese Musik ist ja erst eine, wenn sie einem aus den Händen strömt, als habe sie darauf gewartet. Als nicht mehr weiter gespielt wurde, läutete ich.
    Ich war jetzt eingestellt auf eine melancholische Dame, es kam aber eine Münchnerin. Sie trug zwar kein Dirndl, aber ihre Sprache tönte in allen Dirndl-Farben. Sie wußte, was ich wollte, die Bücher lagen auf dem Tisch. Kaffee oder Tee? Tee. Sie sah einfach zu, wie ich Buch nach Buch aufschlug und jeweils die Stimmungswörter mit denen Ehrl-König seine Widmungen ausgestattet hatte, in mein Notizbuch übertrug: Chaleureusement. Avec l’ expression de mon attachement sincère. De tout coeur. En tout amitié.
    Dann schaute ich auf und sagte: Er war es nicht. Jemanden, der einem solche Sätze widmet, kann man nicht töten. Sie nickte, machte eine wegwischende Handbewegung. Das hieß: Mir müssen Sie das nicht sagen. Sprechen wollte sie offenbar nicht. Daß ich mir vorgenommen hatte, die Unschuld ihres Mannes zu beweisen, wußte sie. Ich hätte ihr gern angeboten, die Einsamkeit, die sie geradezu ausstrahlte, mit mir zu bevölkern. Einfach, weil sie nicht zugab, daß sie litt. Sollte sie’s doch zugeben. Dieser überspannte Mund. Der erinnerte an Lydia Streiffs Mund. Offenbar ein Schriftstellergattinnen-Mund. Kein in sich ruhender Mund, sondern eine Verformung der ganzen Partie, als habe letzten Endes ein Schmerz den Ausschlag gegeben. Ich würde von jetzt an Schriftstellergattinnen auf den Mund schauen. Man ist ja immer an Rubrizierung interessiert und darauf angewiesen. Der Mund von Verlegergattinnen sieht schon mal ganz anders aus. Und erst der Mund von Kritikergattinnen! Ergebnis: Schaut den Gattinnen auf den Mund, und ihr wißt Bescheid! Warum durfte ich diese Frau nicht streicheln? Die Welt wollte mir offenbar unbewohnbar vorkommen. Genau genommen, war mir Frau Lach im Augenblick wichtiger als ihr Mann. Die Bartók-Elegie. Dazu der bayerische Anklang, der schon eher ein Klang war als ein Anklang.
    Ein dunkelbraunes Samtkleid mit rechteckigem Ausschnitt, an dem ein Band mit rotem Mäander auf gelbem Grund entlang lief. Art deco, dachte ich. Um den langen Hals eng ein goldenes Kettchen, von dem in Gold gefaßt ein Karneol in den Ausschnitt hing, eine in die Länge gezogene, ganz spitz zulaufende Raute.
    Daß sie mich, als ich aufstand und mich verabschiedete, einfach gehen ließ, tat mir weh. Unter der Tür sagte sie: Am Alibi hängt alles. Das Alibi entscheidet. Ich behauptete, die Unschuld ihres Mannes sei auch ohne Alibi beweisbar. Warten Sie’s ab, sagte ich großspurig. Ich hatte die Gartentür noch nicht erreicht, entfalteten sich schon wieder die Schleier aus Tönen, aus denen undurchhörbare Akkorde ragten.
    Ich hätte doch noch fragen müssen, ob ihr Mann inzwischen zugelassen habe, daß sie ihn

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