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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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ihn auf Skier stellen wollten. Er war ein furchtbarer Mensch. Aber er träumte auch davon, daß er ein furchtbarer Mensch ist. Vergessen Sie das nicht. Er hat mir Träume erzählt, um die ich ihn nicht beneide. Er sitzt im Traum in Aix an der Promenade, ein Hubschrauber landet vor ihm, der Hubschrauberpropeller wirbelt mit weltfüllendem Lärm alle Tischtücher und Gläser und Markisen durch die Luft, alle Leute rennen, rennen nur weg von ihm, Ehrl-König, dem der Hubschrauber-Orkan die Kleider vom Leib gerissen hat, und dann stehen alle Leute in einem riesigen Kreis um ihn herum, und ein Mädchen tritt vor und sagt mit leiser Stimme, die aber den Hubschrauberlärm übertönt: Mörder. Dann dringen alle auf ihn ein und trampeln auf ihm herum, bis er schmerzgepeinigt und schweißgebadet erwacht. Solche Träume hatte er. N’oubliez pas, ma chère. Ilse-Frauke, ich seh’s, du meinst, es reiche. Recht hast du. Aber das doch noch: Daß er ermordet worden ist, gibt ihm recht in allem und gegen uns alle. Dieses Ende sagt, wie recht er gehabt hat in seiner hemmungslosen Gefühlsexzentrizität. Und Liebesunersättlichkeit. Die seine Mutter in ihm gegründet hat. Adieu. Oh, Ilse-Frauke Allerliebste, nur noch eins, und das nicht gesagt zu haben, würden wir uns beide vorwerfen, Nietzsche, an den Sie sich ranschreiben, Herr Landolf, Nietzsche, das muß ich Ihnen zu bedenken geben, mein Guter, Nietzsche hat sich fürchterlich überschätzt, als er verkündete, die Umwertung aller Werte vollbracht zu haben, bürgerlich befangen, wie er nun einmal war, hat er nicht gemerkt, daß alles so weiterging wie immer! Die Umwertung aller Werte — und nur darum hol ich zum Schluß noch einmal jede Menge Atem —, die hat André Ehrl-König vollbracht, und das nicht ganz ohne meine Mitwirkung. Bei diesem epochalen Reinemachen ist nur ein Wert übriggeblieben als der Wert aller Werte und außer ihm ist nichts: der Unterhaltungswert. Quote, mein Lieber. Jeden abend Volksabstimmung. Die Demokratie des reinen Werts. Endlich. Quod licet bovi non licet jovi.
    Ilse-Frauke hatte praktisch jedes Wort durch Kopfnicken bestätigt und gebilligt. Adieu, riefen beide wie aus einem Mund.
    Ich brachte sie hinunter und bis zur Gartentür und blieb stehen, bis sie in die Gernerstraße eingebogen und verschwunden waren. Zuletzt hatten sie sich noch einmal umgeschaut und gewinkt. Beide. Ab Jetzt hatte ich doch das Gefühl, ich sei heimgesucht worden von einem Gespensterpaar. Allerdings von einem märchenhaften.
    Erna hatte einen Zettel hinterlassen: Liebster, ich muß noch in die Stadt. ErnaDeine.

    8

    Das eng am Kopf bleibende Rotgraugemisch, Hans Lachs Haare. Das Rötliche und Graue mischen sich so ganz und gar, daß eine neue Farbe entsteht, weder rot noch grau, aber ein Glanz aus beidem. Hans Lachs Haare glänzen. Schon bei kleinster Lichtzufuhr glänzen sie. Fast, als glänzten sie von selbst. In der Mitte beginnen diese Haare etwas früher als links und rechts. So entsteht eine Art Kappe. Aber vielleicht sollte man, was er auf dem Kopf hat, überhaupt Fell nennen. Auf Photographien sieht Lach immer erstarrt aus. Als habe er bis zum Augenblick des Photographiertwerdens noch gelebt, aber beim Photographiertwerden selbst nicht mehr. Die Kinderaugen wirken bis zur Blödheit erstarrt. Die hervorragende Nase kommt noch am besten weg. Der Trotzmund hat offenbar vor der Photographiersekunde noch etwas gesagt, was ihm nicht geglaubt wird. Das Kinn ist selbst unter dieser Nase zu groß. Alles zusammen ergibt eine Brutalplastik einer asiatisch-afrikanischen Naivkunst. Und anrief der KHK. Ob ich die Zeitung gelesen habe. Welche. Die BILD Zeitung. Noch nicht, sagte ich, um nicht hochmütig zu wirken. Ein Handy-Interview mit Cosi von Syrgenstein. Damit heiße es Eins zu Null für die BILD Zeitung. Er habe diese Cosi natürlich auch gesucht, und nicht gefunden. Aber vielleicht hat die eben doch die BILD Zeitung angerufen, um sich in Szene zu setzen, und die Zeitung tut dann so, als sei ihr etwas gelungen, was der Polizei nicht gelungen sei. Die übliche Nummer. Auf jeden Fall, die Gefährtin der letzten Stunde liegt im Sand von Fuerteventura, oben und unten ohne, das sagt sie, kein Photo von dort, es geht ihr nicht gut, André war ein Schatz, verstehen Sie, tesoro y querido, sie schreibt und schreibt, ja Eingespeichelt , was denn sonst, von André hat sie sich noch im Hof der PILGRIM Villa verabschiedet, sie mußte ja früh raus, André war wie immer, geistreich und

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