Tod Eines Kritikers
Zurückgebliebener neben der aufragend Schönen stehe, die reagierten genau so, wie er es wünsche. Diese Rolle spielte er auf jedem Photo mit seiner Mutter. Darum habe er doch den Kopf zur Seite hängen lassen, als gehorche der ihm nicht mehr ganz, und grinste. Dieses Grinsen sollte alles vernichten, was die Mutter an Belezza darstellen wollte. Er, der geniale Kretin, sie die Klimtpuppe in der Stefangeorgepose. Sie in märchenhaft an ihr hinabfließenden Gewändern, er in schaurigen Konfektionsanzügen. Ehrl-König habe solche Anzüge nur getragen, wenn er zu seiner Mutter reiste. Er wollte ihren Schönheitssinn beleidigen und protestieren gegen ihren, wie er es nannte, drittklassigen Klimt-Verschnitt. Ja, so umsichtig, so konzentriert, so energisch habe er immer gelebt. Es sei eine Freude gewesen, ihm Vorschläge zu machen, weil er jeden Vorschlag mit Leidenschaft geprüft und ihn, wenn er ihn brauchbar fand, mit kältester Perfektion in Wirklichkeit umsetzte. Woher diese Energie, diese Unermüdlichkeit? Dafür gibt es ein einziges Motiv: Unsterblichkeit. Klar, Unsterblichkeit ist knapp, es gibt, angesichts der Nachfrage, viel zu wenig Unsterblichkeit, also entbrennt ein Kampf um Unsterblichkeit wie um nichts sonst. Und da ist jedem jedes Mittel recht, von Heuchelschwulst bis zu kalter Gewalt, um noch ein Fetzchen Unsterblichkeit zu erhaschen. Und jeder ist da eines jeden Feind. Todfeind, da paßt das Wort. Das habe ja Hans Lach, den er, RHH, sonst gar nicht schätze, in seinem Wunsch, Verbrecher zu sein , akzeptabel ausgedrückt: Wir stoßen einander von den Planken eines sinkenden Schiffs. Daß Hans Lach für diese entsetzliche Tat in Frage komme wie kein anderer, liege auf der Hand. Ehrl-König hat ihm die Aussicht auf Unsterblichkeit gründlich vermasselt. Das heißt, er hatte diese Aussicht nie, aber Ehrl-König war das historische Werkzeug, das diese angemaßte Aussicht zu zerstören hatte. Daß er die Erfüllung dieser historischen Funktion mit dem Leben bezahlen mußte, gibt seinem Sein und Wirken das Pathos, das er zwar immer weggegrinst hat, von dem er aber in seinem Innersten ganz erfüllt war. Er war ein großer Mann. Einem Laffen hätte ich nicht vierunddreißig Jahre gedient. Ich habe ihm gedient. So wie der Bildhauer dem Stein dient, aus dem er die Figur schlägt. Er hat es versucht, mir zu danken. Aber Danken war seine Sache nicht. Die Mutter dürfte versäumt haben, ihn so zu hegen, daß er gerne gedankt hätte. Er wollte undankbar sein. Vorsätzlich. Er wollte böse sein. Er glaubte, dafür Gründe zu haben. Er wollte groß sein im Bösesein. Seine Tragödie: er blieb ewig hängen im Giftigsein. Giftzwerg sei ein Wort, das man in seiner Gegenwart niemals gebrauchen durfte. Was bei ihm laut wurde und rauschte, war nicht das Flügelrauschen eines gewaltigen und bösen Engels, sondern die Wasserspülung, die zu betreiben ihn das Schicksal verdammt hat. Und dann immer Lessing im Mund führen wie andere Leute Kaugummi, Lessing, der gesagt hat, wenn Gott ihm etwas zuteilen wolle, dann nicht die Wahrheit, sondern das Streben danach. Er ist immer aufgetreten als die hemmungslose Gewißheit, die Zweifellosigkeit schlechthin, die diamantene Urteilsunanfechtbarkeit. Er hat das Entwederoder eingeführt in die Literaturkritik, haben seine Chorknaben in den Feuilletons gesungen. Und ich, Rainer Heiner Henkel, habe, weil er mir in seinem Auftrittsfortissimo allmählich komisch vorkam, an ihm gearbeitet in Richtung reisender Henker im Western, das ist der mit dem Arztköfferchen, in dem das Hinrichtungsbesteck blitzt. Aber für Komik war er nicht mehr zu haben. Sein Erfolg panzerte ihn allmählich gegen jede Einrede. Unsere Freundschaft wäre auch ohne den Fehltritt meines armen Bruders verendet. Er war beziehungsunfähig. Manchmal hat er mich angeschaut, wie er schaute, wenn er in der SPRECHSTUNDE das Schlechte Buch behandelt hat. Wenn wir zusammen saßen und tranken und ich, als er zum dritten Mal vom Klo zurückkam, sagte: Was ist los mit dir, protestiert bei dir die Prostata, dann stampfte er auf und schrie: Wenn du noch einmal dieses Wort in den Mund nimmst, sind wir getrennte Leute. Kurz vor dem Bruch sagte er einmal: Wie ich mich beeindrucke, das schafft sonst nur noch die Musik. Und das war die Begabung, die alles entschied: Von sich selber rückhaltlos beeindruckt sein zu können. Das war dann immer das Mitreißende: In kindlichem Überschwang in Jubel auszubrechen über sich selbst. Er hatte einen
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