Tod Eines Kritikers
macht schön. Er gebe zu, er habe selber zuerst lernen müssen, wie viel beziehungsweise wie wenig Realgehalt eine Gerüchtschöpfung haben muß, um dann erfolgreich kursieren zu können. Gegen pure Wahrheit seien die Medien eben immun. Nehmen Sie Ehrl-König und die Frauen. Es hat sich nie um Frauen gehandelt, immer um Mädels. Oder auch um Mädelchen. Mädel oder Mädelchen, da hat er immer scharf unterschieden. Am liebsten waren ihm natürlich Mädelchen, aber wenn’s keine gab, nahm er auch Mädels. Frauen findet er langweilig. Unzumutbar. Besonders doitsche. Weibliches plus Schicksal, zum Davonlaufen! Aber schicksallose, ihres Aufblühens noch nicht ganz sichere Mädels oder Mädelchen, dann wisse er, sagte er, wozu er zur Welt gekommen sei. Herr Pilgrim mußte ihm jede auftauchende Literaturjungfer sofort melden. Und er fragte nie: Schreibt sie gut, sondern: Ist sie hübsch. Eine der kühnsten Kreationen RHH’s sei gewesen: Der Tee-in-der-Suite. Daß Ehrl-König mit jeder in Frage kommenden Jungautorin in den Vier Jahreszeiten gegessen, dann formelhaft gesagt habe: Den Tee nehmen wir in meiner Suite!, das sei inzwischen in der Szenenbelletristik schon ein paar Mal beschrieben und ausgemalt worden. Jedem anderen, der irgendeine Macht ausübt, hätte ein einziger Bericht dieser Art das moralischprofessionelle Genick gebrochen, Ehrl-König ging aus jeder solchen Geschichte noch strahlender hervor. Und das verdankte er, so RHH, ihm. Er, RHH, habe ihn ausgestattet mit einer eher feudalistischen als bürgerlich-demokratischen Legitimität, man hat ihn einfach nicht mehr an einer solchen Bagatelle wie sexual harassment gemessen. So wenig wie Charlie Chaplin, John F. Kennedy oder Franz Josef Strauß. Die Megafiguren gibt es eben dazu, daß sie dürfen, was alle wollen, aber nicht dürfen. Und so weit habe er Ehrl-König aufgeblasen. Er habe ihn gelegentlich auch aufs Glatteis geschickt, einmal, um zu testen, wie viel oder wie wenig er weiß, andererseits um zu testen, wieviel Blödsinn er ihn reden lassen könne, ohne daß jemand sich über ihn lustig macht. Ehrl-König habe natürlich eher nichts als wenig gewußt, aber er konnte sagen, was er wollte, den Leuten ging es nur darum, seine Faxen und sein Autoritätstheater zu genießen. Womit er das betrieb, war ihnen egal. Einmal habe er Ehrl-König für eine Talkshow mit einer Bemerkung über Moliére ausstaffiert, einfach, daß er per Bildungsprotz seine Autorität füttere. Ehrl-König solle sagen, habe er zu ihm gesagt, das Aufregende an Moliére sei für ihn, daß Moliére gegen den Adel und gegen die Jesuiten geschrieben habe. Er hat’s mit großer Geste gebracht, hat mit verdrehten Augen – sein Pathosblick – gerufen, er fühle sich immer der Aufklärung verpflichtet, die Leute haben geklatscht. Kein Mensch hat protestiert und klargestellt, daß Moliére im Interesse Ludwig XIV gegen den Adel geschrieben hat, und nie gegen die Jesuiten, sondern gegen die Jansenisten. Im Fernsehen können Sie, wenn Sie’s genügend aufdonnern, gar alles sagen. Das Statement, das bei Ehrl-König die höchste Nennquote erreichte, war die Feststellung, daß es zur Zeit in Deutschland nur Schriftsteller und Bücher gebe, aber keine Literatur. Er, RHH, habe versucht, ihm diesen Ladenhüter wieder abzugewöhnen – vergeblich.
Ehrl-König habe immer ein Repertoire von zwölf bis fünfzehn Sätzen gehabt, pointierten Sätzen. Dazu noch fünfzehn bis achtzehn Zitate. Die pointierten Sätze, die wirken mußten, wie aus dem Augenblick entstanden, wie aktuelle Einfälle, die verbrauchten sich natürlich schnell, weil EhrlKönig praktisch von einem Auftritt zum nächsten hastete. Mehr als fünfmal durfte er so einen Standardsatz nicht bringen, er aber konnte von einem Satz, solange der Lacher brachte, nicht lassen. Er meckerte anfangs an jedem Satz herum, wenn der Satz Lacher brachte, liebte er ihn und – das war das Erstaunlichste – glaubte, dieser Satz sei von ihm, sei ein Ehrl-König-Satz. Er hatte zwar ein triviales Vorurteil gegen die Psychoanalyse, ich habe ihm beigebracht, was daraus zu machen ist. Er hatte zu sagen: Psychoanalyse! Um Literatur zu verstehen! Lächerlich. Beispiel: Kafkas Parabel Vor dem Gesetz . Eine Parabel, die um so wirkungsreicher ist, je weniger man sie ins sogenannte Verständliche übersetzt. Und Ehrl-König, ließ sich in der Talkshow fragen, was er von der Psychoanalyse halte: Quatsch! Rief er. Bitte, Kafkas Parabel Vor dem Gesetz , wo der immer vor
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