Tod Eines Kritikers
diesem Text. Auch die, die ihm helfen, heraushelfen wollen, müssen dazu ja von dem sprechen, der er vor Zeugen nicht mehr sein will. Nicht mehr sein kann. Sobald er weg ist, fort, heraus aus jeder Erreichbarkeit, stirbt die Machtausübung aus Mangel an Objekt. Das ist seine Chance. Sich zu immer deutlicherer Unerreichbarkeit entwickeln. Bis zur Überhauptnichtmehrerreichbarkeit. So dachte ich. Und was dann in Stadelheim und sonstwo geschah, gab mir recht.
Eine Figur, deren Tod man für vollkommen gerechtfertigt hält, das wäre Realismus. RHH hat gesagt, Ehrl-König habe den Redakteuren des DAS Magazins verboten, eine nichts als zustimmende Kritik über den Wunsch, Verbrecher zu sein zu drucken. Und er, RHH, sei von Ehrl-König beauftragt worden, das überall herumzuerzählen. Und das so lange, bis Hans Lach es erfahre. Natürlich wisse jeder, daß auch ein Ehrl-König so etwas nicht verbieten kann. Aber er konnte dafür sorgen, daß die positive Kritik nicht gedruckt wurde. Und dieses Dafürsorgen wollte er dann verbreitet wissen als: Er hat verboten. Die Chorknaben des Feuilletons würden sich dann schütteln vor Lachen. Ihnen kann doch niemand etwas verbieten. Ihnen hat auch niemand etwas verboten. Sie haben lediglich, nach einigen Diskussionen, sich für eine andere, negativere Kritik des Wunsch Buchs entschieden. Aber im gesellschaftlichen Raum kursierte, von RHH lanciert, die Geschichte als Anekdote der Machtausübung. Das heißt nur: Ehrl-König hat immer gehandelt, wie er immer gesprochen hat. Superlativisch. Er war offenbar darauf angewiesen, sich in jedem Augenblick übermäßig zu erleben. Eine Frau lernt man kennen, betrunken und im Bett. Solche Sätze sagte er sozusagen ununterbrochen, und immer wurden sie gehört und verbreitet. Und wenn nicht, half RHH nach.
Im Wunsch Buch steht: Wem begegnen, so bloß. Verschwinden. Zwei Jahre, bevor die Bloßstellung vollkommen wurde.
Verschwinden , das war Hans Lachs Chance. Er benutzte den Tod Ehrl-Königs, um zu verschwinden. Hinter dieser Tat, die er nicht getan hatte. Dessen war ich jetzt sicherer als je zuvor.
Ich hätte mich noch einmal in Stadelheim angemeldet, wenn ich ihm eine Art zu verschwinden hätte anbieten können, die den Verschwundenheitsgrad, den er selber erreicht hatte, überbieten könnte. Ohne Julia Pelz nicht zu machen.
Sie mußte Hans Lach dazu bringen, das Alibi, das er haben mußte, preiszugeben. Dann war er frei. Dann mußte sie ihm ein Verschwinden ermöglichen, gegen das Stadelheim Stachus war. Mir gefiel es, daß ich glaubte, ohne Julia Pelz nicht mehr weiterzukommen. Ich sehnte mich nach dem Sonnen-Glantz Zimmer, nach der Tapete der Hirsche mit zu großen Geweihen, nach den Blumen, die sich für einmalig halten, nach den singenden Schmetterlingen, vor denen die Vögel verstummen. Und ihren siebenzackigen Stern im Meditationskreis wollte ich wieder sehen. Und die überirdischen Porzellanpuppenfinger der Frau Pelz-Pilgrim, wie sie an der siebten, der goldenen Zacke dieses Sterns spielen. Immer wie gerade vom Pferd gesprungen, hatte der Professor gesagt, der zweifellos auch verliebt war in Julia Pelz. Wer denn nicht? Ihren Spottblick läßt sie immer von ihren Lippen bis zur Parodie verstärken, das heißt, das Ganze ist nicht mehr ernst gemeint und ist doch mehr als bloß das Geständnis der eigenen Übertreibung. Es heißt immer auch: Ich nehme mich zwar, wie Sie sehen, nicht durchaus ernst, aber Ihnen möchte ich das nicht geraten haben.
Ich rief an. Die Sekretärin, die ich kennengelernt hatte: Frau Pelz-Pilgrim ist verreist. Wenn ich ihr etwas zu sagen habe, bitte, das werde schon heute abend bestellt. Ja, sagte ich, ich würde gern sprechen, mit ihr. Über den Fall, bitte. Das werde ausgerichtet. Noch am selben Abend rief sie an. Sie ist – und das sagt sie nur mir, das muß wirklich Geheimnis bleiben –, sie ist auf Fuerteventura. Sie hat da ein Haus, es heißt Casa del Destierro. Sie ist diesmal hergeflogen, um die Syrgenstein zu kriegen. Ist ihr nicht gelungen. Und was wolle ich ihr sagen?
Ich skizzierte, daß ich in Hans Lachs Verhalten nichts als ein Bedürfnis nach Nichtmehrdazugehörenmüsssen sehe. Und daß Frau Pelz-Pilgrim ihm ein Verschwinden ermöglichen könnte, das ihn aus der Stadelheimer Bredouille erlöse.
Sie sagte, die einzige Erlösung wäre das Geständnis. Dann gehört er nicht mehr dazu. Dann läßt sie ihn herausholen aus allem und verschwinden bis zu Erlösung. Übermorgen fliege sie zurück ins
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