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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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glücklicherweise unselige München.
    Überall wimmelt es von Besiegten. Geh aus dem Haus, du begegnest Besiegten. Du mußt andauernd wegschauen von Besiegten. Weit und breit keine Julia Pelz. Julia Pelz, der siegende Spott, die triumphierende Ironie, die reine Unbesiegbarkeit. Es müßte einen zu Frau Lach hinziehen. Aber wenn du an Julia Pelz denkst, möchtest du Frau Lach nicht mehr streicheln. Hans Lach gehört einem anderen Volk an als seine Frau. Wie bei Streiffs. Die Frau besiegt, der Mann gezeichnet, aber überhaupt nicht besiegt. Von jetzt an werde ich Menschen, die ich kennenlerne, zuerst einmal einteilen in Besiegte und Unbesiegte. Und wozu gehörte ich? Da man sich genauer kennt als den Rest der Welt, ist diese simple Einteilung auf einen selbst nicht anwendbar. Aber ich konnte jetzt denken, an wen ich wollte, jeder reihte sich sofort ein bei besiegt oder unbesiegt. Ehrl-König hätte sich sogar eingereiht in eine dritte Kategorie: unbesiegbar. Dadurch, daß einer umgebracht wird, ist er im Sinn meiner Einteilung noch nicht besiegt. Hans Lach, kam mir vor, war noch nicht besiegt, war aber besiegbar. Vielleicht war er in der letzten SPRECHSTUNDE besiegt worden. Besiegt, das heißt: davon erholst du dich nicht mehr. Deshalb schämte er sich. Der Besiegte schämt sich. Er weiß, daß er seine Niederlage sich selber zuzuschreiben hat. Er kann protestieren, argumentieren – es nützt nichts. Besiegt zu sein, das ist ein Zustand, der von keinem Argument berührt oder gemildert werden kann. Das erlebte ich an Hans Lach. Du kannst andere beschuldigen, aber du weißt: du allein bist die Ursache deiner Niederlage. Siehe doch Deutschland. Abgesehen davon, daß es eben überhaupt keine Rolle spielt, warum du besiegt bist. Das interessiert außer dir niemanden. Bernt Streiffs Tiraden. Bernt Streiff ist der Besiegte schlechthin. Und wie sich Hans Lach auf der Party benommen hat, weist darauf hin, daß er jetzt besiegt ist. Und deshalb schämt er sich. Julia Pelz hätte Hans Lach gerne geschützt. Weil ihr das nicht gelungen ist, ist sie jetzt mit ihm verbunden. Innig verbunden sogar. Am Telephon hat sie angedeutet, daß sie, wenn sie im glücklicherweise unseligen München gelandet sein wird, sofort nach Stadelheim fahre, um Hans Lach endlich über das aufzuklären, was mit ihm geschehe. Daß sie mich nicht gefragt hat, ob ich mitkommen wolle, hat mich gekränkt. Andererseits war es gut so. Ich mußte in einer unstörbaren Beziehung zu Seuse bleiben. Zum Beispiel mußte ich am Tag der Rückkehr mit der unbesiegbaren Julia nach Würzburg, mußte zu einer Tagung, die der Klett-Verlag veranstaltete zur Klärung von Sprachproblemen. Dort hatte ich einen Vortrag zu halten, den ich, je nach Tagungsthema, unter wechselnden Titeln hielt. Für Würzburg hatte ich formuliert: Von der Sprache lernen . Anstandshalber schrieb ich, um dem jeweiligen Titel deutlich zu entsprechen, jedes Mal noch etwas dazu. So auch für Würzburg. Mein Sprachvortrag wuchs also jedesmal, wenn ich ihn hielt, er mußte ja nicht nur dem jeweiligen Tagungsthema, sondern auch mir entsprechen. Das durfte ich nicht so genau nehmen, wie ich eigentlich wollte, weil ich dann jedesmal hätte ganz neu anfangen müssen. Was ein paar Wochen alt war, stimmte nicht mehr überein mit mir. Und etwas vorlesen, das nicht mit einem übereinstimmt, tut in der Seele weh. Aber eben dafür wird man ja bezahlt. Ich begriff, daß Hans Lach sich schämte. Schwerer ist nichts, als zuzugeben, daß man sich schämt.
    II. GESTÄNDNIS

    1

    Daß man von der Sprache Ichsagen lernen könne, hatte ich gesagt, am zweiten Tag hätte ich zugehört, aber schon beim Frühstück im Rebstock las ich: Hans Lach hat gestanden. Als ich im Zug saß, merkte ich, daß ich mein Honorar nicht mehr hatte. Nirgends mehr. Alles durchgestöbert, durchgeblättert, egal wie das auf Mitreisende wirkt. Also mußte ich das Kuvert mit den Scheinen im Zimmer liegengelassen haben. Aber ich konnte mich genau daran erinnern, daß ich das Zimmer, bevor ich es verließ, mit geschärftem Routineblick noch einmal abgetastet hatte, nirgends war etwas liegen geblieben. Mir war bewußt gewesen, daß ich in Eile war, ich erinnerte mich an Amsterdam, den Ausweis an der Rezeption vergessen, also, bitte, konzentrier dich. Nichts vergessen, also ab. Und jetzt war das Honorar weg. Das war schlimmer als der Ausweis. Oh Hans Lach. Ich mußte anrufen. Ich präparierte den Satz, mit dem ich vorsichtig zum Ausdruck bringen wollte,

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