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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Gewöhnung an das, was man doch hat tun können, einem so schwer falle, sei bei einer Persönlichkeit wie Hans Lach nicht verwunderlich. Er, Wedekind, hätte es zwar vorgezogen, Hans Lach in aller Ruhe zurückzuführen zum Augenblick der Tat, in Gesprächen, die Verhöre zu nennen er sich weigere. Aber jetzt ist es eben so gelaufen. Die Psychiater in Haar werden wissen, mit wem sie’s zu tun haben. Ein Kollege vom Kommissariat habe gespöttelt: Der will doch bloß den Unzurechungsfähigkeitsparagraphen. Er, Wedekind, habe das keine Sekunde lang gedacht. Dann griff er noch zu einem Buch, es war Der Wunsch, Verbrecher zu sein . Diese Stelle habe er erst jetzt richtig entdeckt. Und las vor:

    Aber wenn man sich aus einer unerträglichen Lage auf irgendeine unvorstellbare Art gewaltsam befreite, dann hinge man dann genau so unerträglich an der Angel dieser Tat.

    Dann wollte er mich auch noch trösten. Die Unschuld eines Menschen beweisen zu wollen, und das unter gar allen Umständen, sei schon an sich etwas Gutes. Seine, des Kriminaltechnikers, Aufgabe sei ja auch nicht so sehr die Überführung eines Verdächtigen, sondern die Hinführung eines Täters zu seiner Tat. Er, der Kriminaltechniker, müsse den Täter mit seiner Tat vertraut machen, sie ihm annehmbar machen, um ihn dann samt seiner Tat wieder aufzunehmen in die menschliche Gesellschaft. Das alles sei ihm bei und mit Hans Lach nicht gelungen,
    beziehungsweise die ungewöhnliche Persönlichkeit Lach habe ihn, den Kriminaltechniker, nicht gebraucht. Allerdings, das Geständnis war nur möglich auf dem Umweg über eine Psychose. Die hätte er Hans Lach gerne erspart. Er werde jetzt noch lange darüber nachdenken, was er hätte anders machen müssen, um diesen Umweg über die Psychose zu vermeiden. Denn ein schmerzlicherer Weg zum Geständnis als über eine Psychose sei kaum vorstellbar. Er beneide die Kollegen von der Haarer Psychiatrie nicht um die Aufgabe, diesen Geständigen jetzt sozusagen zur Zurechnungsfähigkeit zurückzubringen. Zur Verhandlungsfähigkeit. Zur Schuldfähigkeit. Er, Wedekind, werde von Dr. Swoboda mit Gesprächsprotokollen auf dem laufenden gehalten. Oh, dabei fällt ihm das Tonband ein. Fast hätte er vergessen, mir das vorzuspielen. Eine Studentin habe es gebracht nach langer Gewissenserforschung, eine Verehrerin von Hans Lach, sie schreibt eine Doktorarbeit über Identität bei Hans Lach. Das Tonband mußte kopiert werden, weil sie das Original nicht dalassen wollte. Sie sei immer noch Verehrerin. Hören Sie. Dann Hans Lachs Stimme. Er bellte mehr als er sprach. Er war betrunken. Das klang nach Kneipe. Nachts. Rundum Gequatsche und stampfende Musik. Dahinein die erschöpfte, brüchige, bellende Stimme Hans Lachs:
    Ich werde alles tun, was ich tun kann. Ich werde mich wehren. Schluß mit dem Rachegeplapper.
Wenn jetzt nichts passiert, halt ich mich nicht mehr aus. Also, Freunde, leiht mir ein Messer. Ja,
ich habe nicht mal ein Messer. Aber ich brauch eins. Los, Bernt, her mit dem Messer. Licht aus,
Messer raus, drei Mann zum Blutrühren. Was kann man mit uns eigentlich nicht machen? Wir san doch die echten Wimmerl, Mensch. Aber ich nicht.
Dann versackte die Stimme vollends.
Na ja, sagte ich, der Alkohol.
Moment, sagte der KHK, das geht noch weiter.
Und schon war Bernt Streiffs helle, hohe, fast mädchenhafte Stimme da. Auch er offenbar schwer betrunken, noch betrunkener als Hans Lach: Seit dem Chaplindiktator hat doch keiner mehr so vor laufender Kamera rumgerudert und rumgebrüllt.
Eine unbekannte Stimme: Jetzt reicht’s dann.
    Wieder Hans Lach: Man müßte mit den Kameraleuten reden, daß die ihm einmal mit dem Zoom aufs Mundwerk fahren, daß endlich mal das weiße Zeug, das ihm in den Mundwinkeln bleibt, groß herauskäme, der vertrocknete Schaum …
    Scheißschaum, gellte Bernt Streiff, das ist sein Ejakulat. Der ejakuliert doch durch die Goschen,
wenn er sich im Dienst der doitschen Literatür aufgeilt. Der Lippengorilla, der elendige.
Und Hans Lachs Stimme: Tu’s in den Samisdat.
Ich geh’ jetzt, sagte die unbekannte Stimme.
    Ende der Aufnahme. Mein Gott, sagte ich. Ja, sagte der KHK, das möchte man, wenn man den und jenen in der Zeitung sieht, dem und jenem nicht zutrauen. Alkohol, sagte ich. Aber ich kam mir, als ich das sagte, verlogen vor. Aber ich wollte nicht mit einem Kriminalhauptkommissar Abgründe inspizieren. Machen Sie sich auf etwas gefaßt, sagte er, in Haar.
    Eine Psychose könne einen Menschen ganz schön

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