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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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daß mir das Kuvert mit dem Honorar … nein, ein Kuvert fehle, darin zwei Geldscheine. Die Summe würde ich nicht sagen. Zwei Scheine, das war klar genug. Ich rief an, wurde sofort mit der Hausdame verbunden, mußte überhaupt nichts sagen, mein Anruf wurde erwartet, das Zimmermädchen, sie nannte einen asiatischen Namen, hat im Papierkorb ein Kuvert gefunden, DAS Kuvert. Ich dankte sehr, sagte, das sei echt Rebstock und bat, einhundert für die Finderin abzuziehen. Der schöne Tag, den sie mir noch wünschte, mußte nicht noch schöner werden. Der Zug blieb nirgends auf freiem Feld stehen. Ich wäre mir, wenn ich dieses Geld eingebüßt hätte, besiegt vorgekommen. Ich hätte nicht gleich nach Haar hinausfahren können, um Hans Lach zu besuchen. Aber bevor ich hinausfuhr, mußte ich schon noch Julia Pelz anrufen. Die triumphierte. Das Geständnis. Endlich! Aber warum dann Haar? Das tat sie ab als einen Anfall von Schwäche. Das geht vorbei. Er muß lernen, seine Tat zu ertragen. Daß er da zuerst einmal zusammenbreche, versteht man doch. Ich sagte ihr, daß ich Hans Lach besuchen wolle. Ich sagte nicht, daß ich trotz Geständnis noch von seiner Unschuld überzeugt sei. Sie wollte auch gar nicht wissen, wie es mir zumute war, sie sprühte, sie sprach, sie war jetzt die Anwältin, die Oberanwältin, jetzt komme es darauf an, daß das Geständnis wirke. Das dürfe nicht in irgendwelchen Amtslabyrinthen verpuffen. Eine Figur, deren Tod vollkommen gerechtfertigt erscheint, das wäre Realismus. Das ist Realismus. Durch Hans Lach kommt er jetzt zur Sprache. Ehrl-König wird so genau vorgestellt, daß sein Tod keine Sensation mehr ist. Aber dazu gehört eben auch die Figur, deren Tat vollkommen verständlich wird. Der Glücklichste und der Unglücklichste, eine Konstellation, die trotz des Superlativs alltäglich ist. Lach und Ehrl-König überall. Es muß, wenn das zur Sprache gebracht ist, in ein allgemeines Erstaunen ausbrechen: Warum wird so selten jemand umgebracht?
    Ich sagte, daß ich ihr berichten werde, falls mir in Haar Berichtenswertes begegne. Sie sagte, sie sei zweimal die Woche in Haar. Bei ihm. Dr. Swoboda, der behandelnde Psychiater, habe sie in sein Konzept integriert. Und ich ihn in meins, sagte sie und lachte ihr quecksilbriges Lachen. Und nannte mir die Adresse: Ringstraße 21, genannt die Burg . Schnell noch eine Stelle aus dem Wunsch Buch, sagte sie. Diese Stelle habe sie bisher immer übersehen. Die zeige aber, was für einen Weg Hans Lach habe zurücklegen müssen. Und las:

    In der Ecke. Wozu einer im Stande ist, wenn er so weit ist. Leider erschrickt er noch, wenn er merkt, wie wenig das Gute über ihn noch vermag. Gutsein muß man sich leisten können. Er wird beim Wunsch, böse zu sein, bleiben. Aber unterlassen wird er. Was er unterlassen kann, wird er unterlassen. Vor allem, wenn er glaubt, durch Unterlassen jemandem schaden zu können. Diese Befriedigung. Er muß sich spüren. Im Schadenkönnen spürt er sich. Stellt er sich vor.

    Und schwieg. Und ich schwieg auch, obwohl ich nicht sicher war, daß wir über dasselbe schwiegen.
    Dann sie: Ob ich es schon wisse, Ludwig Pilgrim auf der Intensiv-Station. Diagnose ungewiß. Dann, aus großer Entfernung, ein wirklich empfundenes Der arme Ludwig.
    Und auch noch zu KHK Wedekind. Ich hatte nicht gewagt, Julia Pelz zu sagen, daß ich sie lieber in der Elstervilla in ihrem Sonnen-Glantz Zimmer besuchen würde, als ihr nur am Telephon zuzuhören. Den KHK konnte ich fragen, ob ich kommen könne. Er freue sich. Klang glaubhaft. Sein Büro in der Bayerstraße ist erschütternd nüchtern. Jedesmal wenn ich da eintrat, dachte ich Mordkommissariat, ein pathetisches Amt, aber ein Büro, kein bißchen stimmungsdeutlicher als das meines Steuerberaters in der Klenzestraße. Allerdings, wie man ein Mordkommissariatszimmer möblieren und tapezieren sollte, wußte ich nicht. Aber ich mußte dann droben doch wieder so herumschauen, daß es dem KHK auffiel. Was wollen Sie, sagte er, das sind ein paar in einem Geschäftsgebäude angemietete Stockwerke. Und die Polizei unten nur auf dem Klingelbrett, sagte ich, so banal wie möglich. Sie fangen an zu begreifen, sagte er und zündete die nächste Zigarette an.
    Ich hoffe, sagte ich, Sie rauchen, wenn Sie mit mir reden, nur halb soviel, wie wenn Sie verhören.
    KHK Wedekind triumphierte nicht. Daß ein Täter seine Tat, zu der er doch fähig war, nachträglich nicht mehr erträgt, ist ihm nichts Neues. Daß die

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