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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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kann sie, habe er gedacht, gedacht haben. Also seinem Beleiben auf Syrgenstein seien Gerenzen, zeiteliche und andere, erwachsen. Natürlich hat Cosi mich dazu eingeladen, alles zu lesen, was sie für Einspeicheln schon gescherieben hat, mehr notiert als gescherieben. Es ist nicht sehr viel. Das wenige habe er nun schnell oder langsam lesen können. Er habe das Lesetempo stereng bestimmt nach der öffentelichen Entwickelung des Falls EhrlKönig-Hans Lach. Solange das Konfelikt- oder das Wahrheitspotential, das in diesem Fall enthalten zu sein schien, nicht ausgereizt war, würde er sich nicht zurückmelden. Der Ankelage, eine hohe Behörde an der Nase herumgeführt und diversen Schelaumeiern diverse Fragen gestellt zu haben, sehe er gelassen entgegen, denn: Es war ein längst fälliges Lehrstück über Wahrheit und Lüge im Kulturbeterieb. Erst als seine nicht hoch genug zu verehrende Nancy sich habe hinreißen lassen, die ungetane Tat auch zu der ihrigen zu machen, erst da habe er gewußt: Lehrstück beendet. Syrgenstein adieu. Er habe außer Nancy nie eine Ferau geliebt. Und Nancy liebe er immer noch, wie er sie von Anfang an geliebt habe. Er habe, seit er von Syrgenstein zurück sei, Nancy noch nicht gesehen. Er rufe ihr aus allen Fernsehperogerammen zu, wie schon öfter, wie eigentelich immer. Und er wage es, sie so öffentelich um Verzeihung zu bitten, weil er sich seiner Liebe zu ihr so ganz und gar sicher sei und deshalb wisse, er gehöre zu ihr, sie gehöre zu ihm. Wem auch immer er da und dort erotischen Kauderwelsch zugerufen oder – geraunt habe –, da sei weniger gewesen als einmal die Händewaschen und geleich darauf abgeterocknet. Er benutze die durch diese ungepelanten Ereignisse entstandene Situation, ihr zum allerersten Mal und in uneingeschränkter Öffentelichkeit seine absolute Zuneigung und immerwährende Liebe zu gestehen.
    Dann war zu sehen, wie er auf seine Grünwalder Adresse zufuhr. Wie ein Schauspieler. Oder war er wirklich so aufgeregt? Wird sie ihn empfangen oder abweisen. Abweisen, das hieße: für immer. Getrennt für immer. Wir, die Zuschauer erfuhren: Wenn sie ihn empfange, seien alle Haus- und Hoflichter seines Grünwalder Hauses in der Eichleitenstraße eingeschaltet. Alles war über das Fernsehen bekannt geworden. Um sieben Uhr abends würde er mit dem Taxi vor dem Gartentor halten. Um sieben Uhr abends hielt das Taxi vor dem Gartentor. Der, den man gerade noch vor Aufregung fiebernd in Großaufnahme gesehen hatte, stieg (halbnah) jetzt aus, ging durchs hell erleuchtete Tor, ging auf dem Plattenweg auf das aus allen Fenstern hellstens strahlende Haus zu, die Haustüre war offen, und da erschien im schönsten Licht Madame. Er küßte ihr die Hand. Dann bot er ihr den Arm an, sie hängte sich ein, beide verschwanden im Haus, die Türe schloß sich, und von einem Augenblick auf den anderen erloschen alle Lichter. Diese letzten Augenblicke, vom Taxi bis zum Handkuß und Perarmverschwinden im Haus, waren unterlegt mit der Händelschen Festmusik, uns allen bekannt als die Musik, mit der die SPRECHSTUNDE begann und aufhörte.
    Und am nächsten Tag gab Madame noch ein knitzes Interview. In einer Hand die Zigarre, in der anderen das Champagnerglas, sagte sie lächelnd: Sie habe gewußt, wenn sie sage, sie habe André umgebracht, wird er sofort zurückkommen. Und so war es dann auch. Daß er nicht umgebracht worden ist, sei ihr immer klar gewesen. Umgebracht zu werden paßt doch nicht zu André EhrlKönig, ich bitte Sie. Und trank uns zu.
    III. VERKLÄRUNG

    1
    Am 23. April sind wir auf der Insel gelandet. Anno 1616 war das der Todestag von Shakespeare und von Cervantes, steht irgendwo bei Turgenjew. Bernardo hat uns auf dem Flughafen Porto del Rosario abgeholt, ich sagte Buenos días, er deutete auf seine Uhr und sagte: ..tardes. Julia fletschte sarkastisch zu mir hin. Das heißt, sie preßte ihre Lippen so zusammen, daß die nur noch ein Wulst waren, und zog die linke Braue hoch. Ich sagte: Julia, ich werde noch ganz andere Fehler machen.
    Auf dem auf- und abführenden und sich durch immer gleich leere Landschaften windenden Asphaltband wurde es mir immer wohler. So weit war ich noch nie weg gewesen. Von dort. Von mir.
    Die Versuchung, unter dem Namen Michael Landolf weiterzuschreiben, war groß. Und ganz sicher, daß ich ihr jetzt widerstehen würde, war ich, als wir auf der Insel landeten, noch nicht. Durch das, was mir passiert war oder was ich mir geleistet hatte, war in mir ein

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