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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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daß sie Verluste nicht ertrüge, bekommt sie jedesmal den Einsatz von den Verlegern. Wenn sie gewinnt, zahlt sie den Einsatz zurück. Wenn sie verliert, sagt sie: Pech gehabt. Und am wichtigsten sei es ihr, daß ihr Mann nichts davon erfahre, weder von Gewinn noch Verlust. Man weiß aber, daß er es wußte. Er hat immer so getan, als wisse er es nicht. Es hätte seine Unbestechlichkeitsaura beschädigt. Er, Wedekind, könne mir das hinplaudern, da es Szenengut sei. Also nicht ganz ernst zu nehmen.
    Ich rief sofort Olga Redlich an, um ihr zu sagen, es gebe jetzt einen Anwärter beziehungsweise eine Anwärterin auf die Schuld, also müsse von ihr jetzt alles nur kein Alibi gespendet werden. Sie dankte mir, wie ich herauszuhören glaubte, wirklich bewegt. Die Genüsse des Nachrichtenhändlers.
    Aber nach Haar meldete ich nichts weiter. Und Julia Pelz? Die mußte ich anrufen. Geben Sie zu, daß Sie eine ziemlich rohe Spekulantin sind, sagte ich. Und fragte sie, ob sie nicht einsehen könne, daß es unmenschlich sei, von Hans Lach zu erwarten, er bezahle mit seinem Leben, um ihre saturnische Gleichung aufgehen zu lassen.
    Sie sagte: Ludwig Pilgrim sei vor zwei Stunden gestorben. Aber nicht durch den Horrorautor als Pfleger. Der sei sofort gefeuert worden und brüte jetzt wahrscheinlich noch haarsträubendere Handlungen aus als vorher. Ludwig sei einfach eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Ich drückte ihr mein Beileid aus.
    Was denn, Beileid, was für Wörter. Ludwig Pilgrim starb genau im richtigen Augenblick. Und er hat das auf jene Art gewußt, die allein produktiv ist. Er wußte, es war Zeit, aber er mußte nicht wissen, warum es Zeit war. Das wisse nur sie. Und jetzt werde sie handeln. Hans Lach wird befreit. Was er tun konnte, hat er getan. Eben nicht, rief ich und servierte ihr die Nachricht: Madame war’s.
    Das ließ sie nicht gelten. Die spiele sich auf. Noch einmal wichtig machen, bis dann mühsam nachgewiesen ist, daß sie’s nicht war, der Rest ist dann St. Moritz, in der Bar, wo alle schon auf sie warten.
    Ich gestand, daß ich der Madame auch mehr den Vorsatz zutraute als die Ausführung. Sie werden von mir hören, rief sie und legte auf.
    Ich spazierte durchs Viertel, das der Föhn inzwischen ganz getrocknet hatte. Ich bog in die Böcklin ein. Frau Lach übte Bartók. Offenbar konnte sie nicht zugeben, daß diese beiden Elegien für sie unerreichbar bleiben könnten. Aber wer kann schon zugeben, daß er, was ihm lebenswichtig ist, nicht erreichen kann? Es gab immer wieder Takte vollkommenen Ausdrucks. Dann blieb wieder die linke Hand hängen. Wurde wiederholt. Blieb wieder hängen. Wurde ohne die Rechte geübt. Das durfte eigentlich gar nicht sein. Diese schwerelosen Läufe, diese in sich verbissenen Akkorde, die sollten doch aus den Fingern kommen oder strömen, als seien sie da immer schon drin gewesen. Quasi impovisando , steht im Notenheft. Mehr kann eine Musik dem sogenannten Leben nicht entsprechen. Ein-, zweimal hätte ich ihr Arpeggieren am liebsten mit Händeklatschen gefeiert. Verlangt wird von uns ad libitum . Poco a poco piu grave.
    Zum Glück war es schon dunkel, sonst hätte ich nicht so lange stehenbleiben können. Frau Lach ist beschäftigt. Wie man erfüllender nicht beschäftigt sein kann. Wenn nach Unerreichbarem gieren, dann in der Musik. Und versuchte, mein rückhaltloses Umschalten von der Musik auf ein schlichtes Gelehrtenziel so sarkastisch wie möglich zu empfinden. Ich war nie in der Gefahr, die Selbstverurteilung über das Maß des gesundheitlich Vertretbaren hinaustreiben zu lassen. Das war aber schon wieder eine Selbstverurteilung, die nicht als gesund gelten konnte. Drauf und Dran . Denk an Mani Mani. Dichter leben gefährlicher. Und kriegen dann Geneviève Winter trotzdem nicht. Ganz schön gemein. Ich merkte, daß ich jetzt zwischen Olga Redlich und Julia der Großen hin- und herdenken mußte. Leben und Tod. Anders konnte ich an diese zwei Frauen nicht denken. Wie Hans Lach um diese Olga gestritten haben muß. Spürend, daß er nie zwei Lebenssekunden nach einander ihrer sicher sein konnte. Sie, das Nichtsalsleben. Er, der Durchempfinder, bis immer nichts mehr bleibt. Sie, jetzt, im Genuß ihrer Schwangerschaft. Er auf dem Scherbenhaufen eines Daseins, dessen er sich schämt. Und ihm hätte sie das Alibi spenden sollen, sich opfern! Niemals, lieber Hans Lach! Wie hieß es im Wunsch : Schriftsteller sind ununterbrochen (und ununterbrechbar) damit beschäftigt, ihr

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