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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Alibi zu notieren . Diesmal fällt das Alibi aus.
    So denkend, wurde mir vorstellbar, wie genau Julia die Große und Hans Lach einander entsprachen. Auch wenn Hans Lach sich nicht auf das saturnische Vokabular verstünde, in ihm brannte das schwarze Feuer, das glühende Eis, die Blume aus Blut. Und fühlte mich plötzlich hingezogen zu den beiden.
    Olga Redlich … schön wär’s, das Schönste wär’s, das einzige überhaupt, hinknien für immer vor so einer auf der Polsterrolle reitenden Schwangeren …
Zurück. Ich doch nicht.
    Ich bin aber auch nicht saturnisch. Bei aller Neigung. Ich lasse in mir eine Kraft entstehen gegen die schwarze Gravitation. Daß es Schwerewellen gibt, weiß ich, seit ich die Mystiker lese. Aber der Mensch, dem sie Gott abtrotzten, wurde erst durch Nietzsche sprachreif. Die Kriege sind vorbei, aber die Kämpfe haben erst begonnen.

    5

    Ich las jetzt die Zeitungen, als handelte alles, was da drin stand, von mir. Ich war verwickelt in ein Geschehen, das nichts so sehr war wie öffentlich. Was es sonst noch war, hätte ich nicht sagen können. Und wahrscheinlich lasen alle, die an diesem Geschehen teilnahme n, die Zeitungen auch so. Auch das Politische und Wirtschaftliche las ich in der Stimmung, in die mich die Ehrl-König-Nachrichten versetzten. Manchmal beherrscht einen das Gefühl, ganz und gar in diesem Mediengewebe aufzugehen. Du bist nichts als ein Teil dieses Mitteilungszusammenhangs. Und es gibt außer diesem Zusammenhang nichts. Du wirst beatmet. Das heißt informiert. Du selber mußt nicht mehr leben. Dann aber leider doch. Wieder. EhrlKönig-Nachrichten, Hans Lach-Neuigkeiten, basta. Alles was sonst noch geschah oder geschehen wollte, hatte sich, um geschehen zu können, mit dem alles beherrschenden Thema zu vereinbaren. Sogar der Fasching.
    Ich hatte es schon seit Jahren aufgegeben, vom Fasching etwas zu erhoffen, was mir das übrige Jahr nicht gebracht hatte, aber ein bißchen weh tat er mir schon, der Flitter, der mich nicht mehr erreichte. Jedes Jahr diese Erinnerungen an alle Aufbrüche zu den Bällen. Tanzen und tanzen. In der immer irreren Hoffnung, einmal mit einer Frau zu tanzen, die genau mit den gleichen Hoffnungen jetzt mit dir tanzte. Die Ohnmacht, mit der man diese saisonalen Signale passieren läßt, läßt man am besten aussehen wie Weisheit.
    Der Rosenmontag, immer der schmerzlichste Tag, wartete diesmal wenigstens mit einer alles andere außer Kraft setzenden Nachricht auf: André Ehrl-König lebt.
    Am Samstag ist er zurückgekehrt. Von Schloß Syrgenstein. Und das erfuhr man durch ein Interview. Gegeben von Cosi von Syrgenstein, die auch wieder in der Stadt war, die nicht auf Fuerteventura gewesen war, die das nur, um keine Fragen beantworten zu müssen, erfunden hatte. Jetzt, sagte sie, beantworte sie alle Fragen, bis auf eine: Wo ist Ehrl-König jetzt. Sie wisse es nicht, würde es aber, auch wenn sie es wüßte, nicht sagen. Dies sei ihr letztes Interview, in dem sie den Namen Ehrl-König in den Mund nehme. Sie seien übereingekommen, darüber nichts zu sagen. Aber soviel könne sie jetzt zum Schluß doch andeuten: Sie, Cosi von Syrgenstein, hätte es in der Hand gehabt, André Ehrl-König für länger, vielleicht für sehr lange dem Literaturleben zu entziehen. Das hätte aber geheißen, daß auch sie selber mit einem Wonnemondabseits zufrieden gewesen wäre. Das wäre sie aber nicht, da sie ja ihren Roman Einspeicheln schreiben müsse. Also zurück in die Geschirre. Sie. Und er. André Ehrl-König werde am Aschermittwoch auf der Beerdigung von Ludwig Pilgrim das Wort ergreifen. Damit gebe sie ihn zurück an den Betrieb und wünsche ihm alles Gute. Sie selber bedaure keine Sekunde, die sie mit ihm verbracht habe. Sie habe, was alle schon über Ehrl-König wissen, in vollem Maß bestätigt gefunden. Es ist ein Glück, daß wir ihn haben. Es wäre nicht zu verantworten, ihn ins Private zu entführen. Abgesehen davon, daß das Private seine Sache nicht ist. Und ihre – siehe Einspeicheln – auch nicht.
Damit entließ sie uns.
    Dann vier Anrufe nach einander: Wedekind, der Professor, Olga Redlich und Julia die Große. Mir wurde gratuliert wie einem Sieger. Ich war offenbar der einzige, der Hans Lach die Tat nicht zugetraut hatte. Und am Mittwoch wich ich ab von meiner Gewohnheit, überall zu früh hinzukommen. Obwohl mich dort kaum jemand gekannt hätte, wollte ich nicht weithin sichtbar herumstehen, schon gar nicht in der Nähe des offenen Grabs. Bis ich

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