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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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ankam, war der Friedhof überfüllt. Ich sah aber noch Julia die Große hinter dem Sarg herschreiten, ihr Gesicht vom Schleier verborgen, und ich sah, direkt hinter Julia, André Ehrl-König, auf dem Kopf saß ihm ein gewaltiger schwarzer Hut. Auch nachher, als er und die anderen Beteiligten, am offenen Grab standen und Reden hielten, sah ich noch seinen Hut. Als er im Trauergefolge an uns Zuschauern vorbeiging, sah ich, daß sein Gesicht in einem geradezu fürchterlichen Ernst erstarrt war. Grimmig, wie erfroren. Es war kein Schönwettertag. Ein fast stürmischer Wind sorgte in den kahlen Bäumen für eine Art Dröhnen. Von den Reden wehte es dann und wann einen Satzfetzen bis zu mir. Ehrl-König hatte eindeutig die höchste Stimmlage von allen. Er rief und rief. Rief nach seinem Freund Ludwig. Rief nach seinem Verleger Pilgrim. Rief nach dem Zeitgenossen Ludwig Pilgrim. Ich dachte daran, daß es kaum eine Drucksache dieses Verlages gab, ohne einen rühmenden Ehrl-König-Satz. Sein am meisten gedrucktes Lob: Pilgrim-Kultur . Und eine Menge Sätze der Art: Der Verlag, den es nur einmal gibt . Aber ich hatte Ehrl-König noch nie so rufen gehört, brüllen schon, aber nicht rufen. Von allen, die da sprachen und tönten, war er der einzige, der mir Gänsehäute produzierte. Also trauern kann er!
    Abends wurde im Fernsehen die Beerdigung wiederholt. Da agierte Ehrl-König schon auf anderen Kanälen. In Lifesendungen und Aufzeichnungen. Das ging so noch fast zwei Wochen lang. Er trat auf, fabelhaft locker. Und redete so freimütig unbeschwert wie eh und je. Zwei Wochen lang gab es kein Programm ohne einen Ehrl-König-Auftritt. Da ich mich jetzt für unterrichtet hielt, eingedenk dessen, was ich von und über RHH gehört hatte, glaubte ich, in den einzelnen Auftritten inszenierte Widersprüchlichkeit zu erkennen.
    Man erfuhr: Ehrl-König hat, wie es sich gehört, die erste Berichterstattung über seinen Ausflug einer Dame, genauer gesagt, einem fast erwachsenen Mädchen überlassen. Eine Dame werde Cosi von Syrgenstein nicht so schnell, hoffentlich nie. Er wünsche ihr für ihren Roman Einspeicheln alles Gute. Er selber sei, als er in jener Nacht seine Windschutzscheibe von Schnee und Eis befreien wollte, von einem heftigen Nasenbluten befallen worden. Von Cosi hatte er sich schon im Hof der Pilgrim Villa verabschiedet gehabt. Cosi hatte ihr gewaltiges Auto unterm Dach der Freiluftgarage im Hof geparkt gehabt, mußte also nur einsteigen und losfahren. Aber sie hielt an bei ihm. Winkte. Er stieg einfach ein. Den Pullover, den blutbefleckten, ließ er liegen. Ab ging´s gen Syrgenstein. Es gibt keine Naturkatastrophe gegen die dieses Vierradantriebluxusmonster nicht ankäme. Cosi habe ihn dem Gefährt vorgestellt wie man einem Gott ein Opfer vorstellt: Hier bring ich dir Dr. mult. h.c. André Ehrl-König. Und zu ihm: Vertrau dich ganz dem Toyota Mega Cruiser an, den es auf dieser Erde nur einhundertachtundvierzigmal gibt. Und er ließ es geschehen. Durfte er nicht auch einmal müde sein? Die Nase, noch blutig, einmal voll haben vom Dienst für die doitsche Literatür? Es war eine märchenhafte Fahrt hinaus und hinauf nach Schloß Syrgenstein. Das durften sie sich doch gönnen. Ewig in der Mühle. Einmal jäh tun, was man will. Man merkt, was man wirkelich will erst, wenn man es tut. Daß sie bei diesen waagrecht gegen die Luxusscheinwerfer anstiebenden Schneemassen überhaupt irgendwohin kämen, war unwahrscheinlich. Ihm war’s recht. Beloß keine doitsche Literatür mehr. Aber das zarte Mädel lenkte die götteliche Karosse gegen Schnee und Nacht und Sturm in ihren Scheloßhof hinauf und bat ihn einzutereten. Erst als sie lasen und hörten und sahen, wie ihr Ausfelug von den Medien verarbeitet wurde, sei ihm die Idee gekommen, mitzuspielen, das heißt: jetzt nicht geleich wieder auftauchen! Zuwarten, die Sache sich entewickeln lassen, vielleicht werde sogar noch ein Lehrstück daraus. Und es sei eins geworden. Hauptdarsteller Hans Lach. Aber auch andere seien kenntelicher geworden als sie ihm vorher gewesen waren. Er gestehe, daß er sogar eine Neigung verspürt habe, für immer auf Scheloß Syrgenstein zu bleiben. Aber als er diese Neigung habe merken lassen, habe sich Cosi derastisch verändert. Sie darf doch so kalkuliert haben: wenn der hier auf Syrgenstein für immer verborgen residiert, nützt er mich rein gar nichts. Also zurück mit ihm in den Beterieb, daß er wieder Bemerkungen machen kann, die mir nützen. So

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