Tod eines Lehrers
»Eigentlich dürfte das bei der Russler nicht so lange dauern. Ich denke, ich bin gegen Abend fertig. Wir könnten doch noch was unternehmen?«
»Bist du gar nicht müde?«
»Im Augenblick nicht.«
»Aber ich. Ich hau mich zwei Stunden aufs Ohr, und wenn du fertig bist, klingel einfach.« Sie gab ihm einen Kuss, lachte ihn an und sagte: »Hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, Herr Hauptkommissar. Ich würde mich freuen, noch öfter mit Ihnen zu tun zu haben.«
»Wir sehen uns nachher. Und schlaf gut.«
»Viel Glück bei dieser Russler.«
Sie sah Brandt nach, wie er denselben Weg zurückfuhr, den sie eben gekommen waren. Sie ging nach oben, räumte den Frühstückstisch ab, spülte das Geschirr, saugte kurz den Boden und machte das Bett. Anschließend legte sie sich auf das Sofa, wo sie sofort einschlief.
Samstag, 14.50 Uhr
A nja Russler öffnete die Tür, kaum dass er geklingelt hatte. Es schien, als hätte sie sein Kommen bereits erwartet.Sie trug dieselbe Kleidung wie am Donnerstag, die leger geschnittene Jeans, das flauschige weiße Sweatshirt und die dicken Wollsocken. Ihr Gesicht war ungeschminkt, kein Lidschatten, kein Rouge, kein Lippenstift. Ihre Augen waren klein und glanzlos, die Haare zerzaust, als wäre sie durch einen Sturm gelaufen. Auf dem Tisch eine halb leere Flasche Whiskey, ein Glas, in dem sich ein Rest der braunen Flüssigkeit befand, eine Schachtel Zigaretten und ein voller Aschenbecher. Der Fernseher lief, der Ton war weggedrückt. Die Ordnung, die Brandt vorgestern noch vorgefunden hatte, war einer leichten Unordnung gewichen. Über zwei Stühlen hingen und lagen Kleidungsstücke, unter dem Tisch standen Schuhe, es roch nach Alkohol und abgestandenem Rauch.
»Nehmen Sie Platz«, sagte sie und räumte schnell die Sachen weg, bevor sie sich ebenfalls setzte. »Was führt Sie an einem Samstagnachmittag zu mir?« Ihre Stimme klang klar und nüchtern.
»Die Arbeit lässt einen manchmal nicht los. Ich hätte schwören können, dass Sie weder rauchen noch trinken.«
»So kann man sich täuschen«, erwiderte sie lachend. »Aber Spaß beiseite, ich hatte gestern Abend Besuch von einer Bekannten, die bis in die späte Nacht geblieben ist, und sie hat auch die Flasche mitgebracht. Und die Zigaretten hat sie heute Morgen hier vergessen. Aber vielleicht möchten Sie ja ein Glas trinken.«
»Nein, danke, ich stehe nicht auf harte Sachen. Frau Russler, wie Sie sich denken können, geht es um den Fall Schirner und Teichmann. Sie haben mir erzählt, dass Sie ein Verhältnis mit Schirner hatten. Hatten Sie auch eins mit Teichmann?«
»Das ist eine sehr intime Frage. Und wenn?«
»Ja oder nein?«
Sie zuckte mit den Schultern und antwortete: »Ja, ich habe mit Teichmann geschlafen. Ist das ein Verbrechen?«
»Wann war das?«
»Tut mir sehr Leid, aber ich habe nicht Buch darüber geführt.«
»War es, nachdem Sie mit Schirner Schluss gemacht hatten?«
»Ja. Sie mögen mich jetzt für eine Hure halten, aber ich hatte mit beiden ein Verhältnis. Das mit Teichmann ging aber nur bis zum Mittwoch, dann hat er von sich aus die Sache beendet. Er hat mir am Donnerstagmorgen eine SMS geschickt und mich um ein kurzes Gespräch vor Unterrichtsbeginn gebeten. Er hat gesagt, es könne so nicht weitergehen, und als ich ihn fragte, warum nicht, hat er mir gesagt, weil seine Frau schwanger ist. Nun, es hat mir wenig ausgemacht, er war nicht gerade das, was man einen guten Lover nennt. Bin ich nun eine Hure oder nicht?«, fragte sie und sah Brandt herausfordernd an.
»Solange Sie es nicht gewerblich betreiben«, entgegnete Brandt mit stoischer Ruhe. »Gibt es auch noch andere Lehrer, mit denen Sie geschlafen haben?«
»Sie werden immer intimer. Aber um Ihre Frage zu beantworten, nein, es waren nur Schirner und Teichmann. Zufrieden?«
»Das wird sich noch herausstellen. Es gibt drei dringend Tatverdächtige, die zwar noch auf freiem Fuß sind, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich sie verhafte. Zwei davon sind Schülerinnen von Ihnen, die andere ist Carmen Schirner …«
»Von welchen Schülerinnen sprechen Sie?«, fragte sie mit auf einmal eisigem Blick.
»Frau Abele und Frau Esslinger.«
»Und warum stehen ausgerechnet sie unter Mordverdacht?«
»Weil sie die besten Freundinnen von Maureen Neihuus waren. Und was mit der passiert ist, wissen Sie ja. Aber sie stehen nicht unter Mordverdacht, ich könnte mir nur vorstellen, dass sie auf die eine oder andere Weise in die Taten
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