Tod eines Lehrers
deine Nähe mich inspiriert.«
»Die Mädchen tun mir irgendwie Leid. Als du oben warst, habe ich versucht mich mit ihnen zu unterhalten, aber die sind verschlossen wie Austern.«
»Die werden auch einen guten Grund dafür haben. Wenn die nur den Mund aufmachen würden.«
»Was wollte denn die Schirner von dir?«
»Sie hat mir das Video geschickt. Angeblich hat noch mehr von dem Zeug existiert, doch sie hat es vernichtet, behauptet sie jedenfalls. Ich kauf ihr das aber nicht ab, die will nur die andernSchülerinnen schützen. Und ich bin fast sicher, dass Kerstin und Silvia, oder zumindest eine von beiden, durch die gleiche Hölle gegangen sind wie Maureen, auch wenn Carmen dazu keinen Kommentar abgeben will.« Er schüttelte den Kopf. »Aber wenn die weiter so mauern, haben wir kaum eine Chance, weil die Täter keine Spuren hinterlassen haben.«
»Welche Täter?«
»Wieso welche Täter?«
»Schirner und Teichmann waren Täter, und die, die sie gekillt haben, ebenfalls. Irgendwie sind alle Täter und Opfer zugleich.«
»Das wäre was für die Anklage, wenn man die Täter-Opfer-Rolle so darstellen würde. Alle sind Täter, und alle sind Opfer. Klingt genial. Noch mal zu Carmen. Egal, was ich auch frage, ich bekomme immer eine passende Antwort. Also werden wir am Montag eine Hausdurchsuchung sowohl bei Schirner als auch bei Teichmann durchführen.«
»Und was erhoffst du dir davon?«
»Weiß ich selber nicht. Ich hab noch Zeit, bis ich Sarah und Michelle abholen muss. Wollen wir noch ein wenig zu dir gehen?«
»Du stellst vielleicht Fragen. Mir ist irgendwie ganz flau im Magen. Aber wie du die Geschichte erzählt hast, Hut ab. Ich denke, die werden dran zu knabbern haben, und irgendwann fällt eine von ihnen um. Du musst einfach dranbleiben und weiterbohren.«
»Das mach ich sowieso. Und jetzt will ich für den Rest des Tages nicht mehr über diesen Fall sprechen, ich hab die Schnauze nämlich voll.«
»Kann ich nachvollziehen. Ich stehe nur bei uns im Keller und unterhalte mich mit den Toten, auch wenn das mehr ein Monolog ist. Aber du musst dir immer wieder was Neues einfallen lassen. Wie machst du das?«
»Routine und Bauch. Du lernst in meinem Beruf, auch Dinge zu hören, die nicht gesagt werden. Aber das macht diesen Berufeben auch nicht langweilig. Ich könnte zum Beispiel nie deinen Job machen.«
»Das ist auch nur Routine. Außer wenn du ein Kind auf den Tisch kriegst und feststellst, dass mit dem Kind was ganz Schreckliches passiert ist. Das sind Momente, wo ich meinen Job hinschmeißen möchte, denn manchmal wirst du mit Sachen konfrontiert, die dich am Guten im Menschen zweifeln lassen. Komm, wir machen uns noch ein paar schöne Stunden, dann fährst du heim und …«
Brandt verringerte die Geschwindigkeit, fuhr an den Straßenrand und schaute aus dem Seitenfenster. Die letzten Worte von Andrea Sievers schien er gar nicht mitbekommen zu haben. Er sagte kaum hörbar: »Anja Russler und Katharina Denzel. Schirner war Vertrauenslehrer, und die Russler ist es auch. Das ist die Verbindung, nach der ich die ganze Zeit gesucht habe.«
»Von was redest du?«
»Gleich.« Er nahm sein Handy und tippte die Nummer seiner Eltern ein. »Hallo, Papa. Kurze Frage – würde es euch sehr viel ausmachen, wenn Sarah und Michelle noch eine Nacht bei euch bleiben würden? Ist wirklich eine Ausnahme.«
»Nein, natürlich nicht. Hast du viel zu tun?«
»Ich steh hier am Straßenrand und muss gleich noch mal zurück nach Langen. Es kann spät werden.«
»Im Augenblick sind die beiden sowieso nicht da. Sie wollten so gegen fünf wieder hier sein. Du kannst ja später noch mal anrufen und mit ihnen reden. Mach’s gut und schnapp dir den Dreckskerl. Und dann will ich die ganze verdammte Geschichte von dir hören.«
»Mach ich. Und danke.«
»Was hast du vor?«, fragte Andrea mit gerunzelter Stirn.
»Anja Russler ist der Schlüssel. Sie hat mir freimütig erzählt, dass sie ein Jahr lang ein Verhältnis mit Schirner hatte. Nach ihr kam die Denzel.«
»Wie, nach ihr kam die Denzel?«
»Das erklär ich dir später. Ich fahr dich jetzt nach Hause, denn ich muss mit der Russler allein sprechen. Wenn die Mädchen sich überhaupt jemandem anvertraut haben, dann ihr. Sie ist übrigens genauso alt wie du.«
»Hübsch?«
»Kann man so sagen.«
»Hat sie einen Freund?«
»Nein. Warum?«
»Nur so, reines Interesse.«
»Aha.«
Brandt setzte Andrea Sievers vor ihrer Wohnung ab und sagte, bevor sie ausstieg:
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