Tod eines Lehrers
die Mädchen fühlten sich sicher und behütet, aber dann kam der Hammer, als Schirner und Teichmann ihr wahres Gesicht zeigten und ihre Forderung stellten. Andernfalls, so haben sie gesagt, würden sie den Eltern erzählen, dass ihre Kinder bei Klassenarbeiten beziehungsweise Klausuren mehrfach betrogen hätten und dafür von der Schule verwiesen werden müssten, denn die beiden haben noch eine zusätzliche Sicherung eingebaut, indem sie die Arbeiten von andern, besseren Schülern genommen haben, die Mädchen haben sie abgeschrieben, selbstverständlich ein wenig verfälscht, aber immer noch so, dass man es leicht als Betrug hätte auslegen können … Und jetzt, Herr Brandt, versetzen Sie sich in die Situation einer solch labilen Schülerin. Für die bricht eine Welt zusammen, wenn sie mit einem Mal merkt, dass der so ehrenwerte und hilfsbereite Lehrer ein gemeiner Erpresser ist. Aber sie hatten keine Wahl, und so mussten sie sich wohl oder übel auf das Spiel mit dem Teufel einlassen.«
»Und keine außer der vom 11. September hat jemals den Mund aufgemacht?«
»Ich hab’s doch auch nicht getan, bis heute habe ich für mich behalten, was mein Vater mit mir angestellt hat. Nicht einmal mein Mann wusste davon. Ah, bevor ich’s vergesse – ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich mir eine Familie wünsche oder gewünscht habe, mit zwei oder drei Kindern. Das wäre aber niemalsmöglich gewesen, denn ich bin unfruchtbar – auch das Werk meines lieben Herrn Vater.«
»Sie können also keine Kinder bekommen, weil Ihr Vater Sie missbraucht hat. Seit wann wissen Sie davon?«
»Ich habe meinen Mann auf der Uni kennen gelernt. Wir wollten beide Kinder, ich hätte nicht unbedingt als Lehrerin arbeiten müssen, da er als Architekt nach dem Studium genug verdient hätte und seine Eltern auch nicht gerade arm sind. Aber es hat nicht geklappt. Erst dachten wir, es läge an ihm, aber seine Spermien sind in Ordnung. Dann habe ich mich untersuchen lassen, und dabei wurde es festgestellt. Mein Vater hat meine Gebärmutter regelrecht kaputtgemacht.«
»Das tut mir Leid, Frau Russler.«
»Was soll’s, ist nicht mehr zu ändern.«
»Wissen Sie, wie viele Mädchen es insgesamt waren, die von Schirner und Teichmann zu sexuellen Handlungen genötigt wurden?«
»Achtzehn in den vergangenen fünf Jahren«, antwortete sie trocken.
»Und was ist mit Namen?«
»Eher beiße ich mir die Zunge ab.«
»Achtzehn, das ist ’ne ganze Menge, doch ich hab fast noch mit mehr gerechnet.«
Anja Russler lachte höhnisch auf. »Im Vergleich zur Weltbevölkerung ist das nicht viel. Aber jedes einzelne dieser Mädchen hat die Hölle auf Erden erlebt. Sie haben doch keine Ahnung, was die durchgemacht haben. Nicht den Schimmer einer Ahnung. Ich will ihnen einfach nur ersparen, dass sie das alles noch einmal durchspielen müssen. Vor Ihnen, vor Ihren Kollegen, vielleicht vor irgendwelchen Männern, die nur geil darauf sind, solche Geschichten zu hören.« Sie blickte Brandt an und meinte weiter: »Ist nicht gegen Sie persönlich gerichtet, aber ich weiß doch, wie so was abläuft. Und vor allem wissen die Eltern von keinem der Mädchen bis jetzt davon … Schirner und Teichmannmussten äußerst vorsichtig vorgehen. Sie haben sich nur die rausgesucht, die psychisch und emotional labil waren. Wie Maureen und das andere Mädchen.« Sie machte eine Pause und zündete sich eine weitere Zigarette an, inhalierte tief und blies den Rauch durch die Nase aus. »Sie haben alles auf Video dokumentiert, sie haben immer diese Kutten getragen, und sie haben den Mädchen vorher immer Drogen gegeben, die sie unter einen Drink gemischt haben. Und mit den Videos hatten sie die Mädchen in der Hand. Ich habe das Mädchen gefragt, ob es noch andere Schülerinnen gibt, die so etwas durchgemacht haben, aber sie konnte es mir nicht sagen, weil sie mit niemandem darüber gesprochen hat, nicht einmal mit ihrer besten Freundin. Also habe ich mich an Schirner rangemacht, obwohl der ja mehr auf richtig junges Fleisch gestanden hat, und der werte Herr hat sich nicht lange bitten lassen. Ob Sie es glauben oder nicht, ich habe es genossen, mit ihm zu schlafen, weil er gut war. Aber in meinem Hinterkopf war immer der Gedanke an dieses Mädchen. Trotzdem, ich wusste, ich würde keine Ruhe finden, bis ich nicht sicher war, ob die Version des Mädchens stimmte oder nicht, auch wenn Schirner nie den Eindruck erweckte, als würde er sich an Schutzbefohlenen vergreifen, wie es so schön
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