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Tod eines Lehrers

Tod eines Lehrers

Titel: Tod eines Lehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Jemand muss ihr geholfen haben. Ich meine, wenn Freundschaft jemals gefragt war, dann jetzt. Denken Sie drüber nach. Ich bin sicher, dass Sie eine Freundin niemals im Stich lassen würden.«
    Carmen sah Brandt traurig an und antwortete: »Würden Sie einen Freund im Stich lassen? Ist Freundschaft nicht auch nur ein Wort? Kerstin und Maureen waren angeblich die besten Freundinnen, aber Maureen hat nie ein Wort über das verloren, was mein Vater ihr angetan hat. Warum nicht? Können Sie mir das sagen?«
    »Vielleicht weil sie sich schämte.«
    »Muss man sich vor einem wahren Freund für irgendetwas schämen? Ist ein Freund nicht jemand, der rund um die Uhr erreichbar ist, der alles für einen tun würde, selbst wenn es ihn eine Menge Kraft und Geld kosten sollte? Ich habe jedenfalls diese verklärte Vorstellung von Freundschaft. Kann aber auch an meinem Glauben liegen«, fügte sie mit einem zynischen Unterton hinzu. »Ich frage mich jedoch, warum Gott diese Mädchen nicht beschützt hat. Ich habe ihn gefragt, aber er hat mir die Antwort verweigert, warum auch immer. Trotzdem studiere ich Theologie, obwohl ich zweifle. Hat mein Vater doch Recht gehabt, als er sagte, es gebe keinen Gott, kein Leben nach dem Tod? War er vielleicht im Recht mit allem, was er getan hat? Und wenn ich sage alles, dann meine ich auch alles.«
    »Niemals ist jemand im Recht, wenn er andere, in seinem Fall Schwächere zu Dingen zwingt, die diese eigentlich nicht wollen, aber sie tun müssen, weil sie erpressbar sind. Und das waren diese Mädchen, erpressbar. Aber sie wussten nicht, auf was sie sich eingelassen hatten. Sie haben mir Ihren Vater gestern in sehr derben Worten geschildert, und ich bin überzeugt, es war die Wahrheit. Es gibt Freundschaft, und es gibt Wahrheit. Und Sie wissen sehr wohl, was Freundschaft ist, und Sie können Wahrheit von Lüge unterscheiden. Sie sind eine sehr kluge junge Frau, und ich kann mich nur wiederholen, ich glaube nicht, dass Sie eine Freundin in der Zeit größter Not im Stich lassen würden.«
    »Wie kommen Sie überhaupt darauf, dass Frau Russler und ich befreundet sein könnten?«
    »Ich spreche nicht unbedingt von Frau Russler.«
    Carmen lachte kurz und kehlig auf und sagte: »Ich denke, ich habe Sie verstanden. Wenn Sie jetzt bitte gehen würden, ich möchte mich auch ein wenig hinlegen.«
    »Ruhen Sie sich aus und geben Sie mir Bescheid, wenn möglich noch heute. Ich fahre jetzt ins Präsidium und bin dort bis umfünf zu erreichen. Ansonsten sehen wir uns morgen früh um neun.«
    Carmen sah ihn nur traurig an und blieb sitzen, als Brandt das Zimmer verließ. Sie wartete, bis er die Haustür hinter sich zugezogen hatte, vergrub das Gesicht in den Händen und begann zu schluchzen, bis ein Weinkrampf ihren ganzen Körper erfasste. Als sie sich nach fast einer Viertelstunde einigermaßen beruhigt hatte, stand sie auf. Ihre Knie waren weich, alles in ihr vibrierte, ihr war übel, und sie hatte das Gefühl, einen Kloß im Hals zu haben, doch sie kannte dieses Gefühl, es überkam sie jedes Mal, wenn sie besonders nervös war. Sie richtete ihren Blick zur Decke und sagte mit ausgebreiteten Armen: »Gott, hilf mir! Ich flehe dich an, hilf mir nur dieses eine Mal.«

Sonntag, 14.15 Uhr
     
    W ährend der Fahrt ins Präsidium dachte Brandt über das eben geführte Gespräch nach und den Blick, den ihm Carmen als Letztes zugeworfen hatte. Ein Blick, der mehr als tausend Worte ausgedrückt hatte, ein Blick, den er nie vergessen würde. Er wusste, er hatte die richtige Taktik gewählt und Carmen würde sich noch heute bei ihm melden. Auf dem Parkplatz standen mehrere Streifenwagen und die Fahrzeuge jener Beamten, die Dienst hatten. Eigentlich hatte er gar keinen Dienst, aber Brandt fand selten Ruhe, bevor ein Fall nicht abgeschlossen war. Die meisten Kapitalverbrechen, die er in den fast zwanzig Jahren bei der Mordkommission bearbeitet hatte, wurden aufgeklärt, aber es gab noch drei Fälle, in denen die Täter frei herumliefen, Fälle, an denen er immer noch zu knabbern hatte, deren Vorgänge er aus dem Aktenberg herausholte, wenn die Zeit es erlaubte. Manchmal dauerte die Jagd nach einem Mörder Monate oder gar Jahre, bei Schirner und Teichmannhatte er zumindest eine Täterin bereits in Gewahrsam genommen.
    Als er das Büro betrat, hing noch immer der Geruch kalten Rauchs in der Luft. Er ging zum Fenster, öffnete es, die kalte Luft strömte herein, zu kalt für ihn, weshalb er es sich für einige Minuten auf

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