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Tod eines Lehrers

Tod eines Lehrers

Titel: Tod eines Lehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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glaube, es gibt keine Wahrheit, außer die Wahrheit Gottes. Aber er ist jetzt nicht hier, und deshalb müssen Sie sich mit meiner Wahrheit zufrieden geben.«
    Brandt nickte, fuhr sich mit der Zunge über die rechte Innenseite der Backe und lächelte kaum merklich. Er betrachtete die junge Dame, die die Beine übereinander geschlagen und ihre Arme auf die Lehnen gelegt hatte.
    »Trotzdem werden Sie doch sicherlich einige Fragen wahrheitsgemäß beantworten, auch wenn es nur Ihre bescheidene Wahrheit ist, oder?«
    »Selbstverständlich. Fragen Sie.«
    »Ich nehme an, Sie kennen Frau Russler, Frau Anja Russler.«
    »Ja, ich kenne sie, ich hatte sie in der Dreizehn in Englisch und Sport. Warum fragen sie nach ihr?«
    »Nun, ich will es kurz machen – Frau Russler wurde gestern verhaftet und hat die Morde an Ihrem Vater und Herrn Teichmann gestanden.«
    Carmen, die bis dahin völlig ruhig dagesessen hatte, wurde mit einem Mal kreidebleich, ihre Hände krallten sich in die Lehnen, ihre Augen verengten sich zu winzigen Schlitzen, ihre Mundwinkel zuckten verdächtig.
    »Was, sie hat die Morde gestanden? Dann ist’s ja gut, dann brauchen Sie ja meine Hilfe nicht mehr.«
    »Frau Schirner, ich weiß nicht, ob
ich
Ihre Hilfe brauche, aber Frau Russler könnte sie möglicherweise brauchen. Wissen Sie, ich habe in den letzten Tagen so nach und nach die Puzzleteilchen zusammengelegt und bin dabei, auch die letzten wenigen einzufügen. Etwas fehlt noch, aber ich denke, es wird nur noch eine Frage von Stunden sein, bis ich das ganze Bild zusammen habe. Sie sind mit Frau Abele und Frau Esslinger befreundet, Sie haben mir das Video geschickt, und Sie kennen Frau Russler. Wann haben Sie sie zuletzt gesehen? Gestern, vorgestern, oder vielleicht Dienstagnacht und Donnerstagnacht?«
    »Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.«
    »Also gut, ich bin es leid, um den heißen Brei herumzureden. Sie sind auch mit Frau Russler befreundet, zumindest gehe ich davon aus. Sind Sie es oder sind Sie es nicht?«
    »Hat sie Ihnen das gesagt?«, fragte Carmen zurück, die allmählich ihre alte Ruhe wiederfand.
    »Nein, hat sie nicht. Aber Sie kennen doch das Gedicht ›Die Bürgschaft‹. Jeder Abiturient hat das irgendwann einmal durchgenommen …«
    »Ich muss Sie enttäuschen, aber ich kenne dieses Gedicht nicht. So etwas wurde vielleicht zu Ihrer Zeit in der Schule besprochen, heute liest man Bücher wie
Homo Faber
oder
Das Glasperlenspiel
, vielleicht auch einmal
Faust
. Aber den kenne ich auch mehr vom Hörensagen. Um was geht’s denn in diesem Gedicht?«
    »Freundschaft, es handelt von Freundschaft. Damon, der Held der Geschichte, will den Tyrannen töten, wird aber von dessen Leibwächtern vorher erwischt. Damon hat keine Angst vor dem Tod, er bittet aber den Tyrannen um drei Tage Frist, bis er seine Schwester verheiratet hat. Als Bürgschaft bietet er ihm seinen besten Freund an und sagt, dass der Tyrann ihn töten dürfe, wenn er nicht wiederkommen sollte. Der Tyrann lässt sich auf den Dealein, und Damon rennt los, verheiratet seine Schwester und eilt zurück. Es folgen allerlei Hindernisse, dass er fast verzweifelt …«
    »Es stellen sich ihm Räuber in den Weg, er erlegt drei von ihnen und kommt fast zu spät, denn sein Freund wird bereits am Kreuz hochgezogen, und als der Hüter des Hauses, Philostratus, ihn sieht, fleht er ihn an, wieder zu gehen, sonst würde auch er sterben. Aber er will zu seinem Versprechen stehen und auf keinen Fall seinen Freund sterben lassen, dann schon lieber mit ihm zusammen in den Tod gehen. Das Volk ist gerührt und der Tyrann auch. Er sagt: ›Es ist euch gelungen, / Ihr habt das Herz mir bezwungen, / Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn, / So nehmet auch mich zum Genossen an, / Ich sei, gewährt mir die Bitte, / In eurem Bunde der Dritte.‹« Ein sympathisches Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab, als sie sagte: »Habe ich die letzten Zeilen richtig wiedergegeben?«
    »Perfekt. Würden Sie einem Freund oder einer Freundin nicht auch so beistehen? Einer für alle, alle für einen?«
    »Sie halten mich für die Mörderin meines Vaters und von Teichmann«, sagte sie, und es klang wie eine Feststellung. »Was hat Frau Russler gesagt?«
    »Sie hat Ihren Namen nicht genannt. Sie würde sich eher die Zunge abbeißen, als zu sagen, wer ihr geholfen hat, diese … Schweine zu töten. Sie ist bereit, die ganze Schuld auf sich zu nehmen, obwohl sie diese Taten unmöglich allein begangen haben kann.

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