Tod eines Lehrers
Nicole Eberls Sessel bequem machte. Er legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Am liebsten wäre er ins Bett gegangen und hätte geschlafen. Warum bin ich überhaupt hier?, fragte er sich. Ich könnte genauso gut bei Andrea auf den Anruf warten. Brandt legte sein Handy auf den Tisch. Die Kälte in seinem Büro wurde auch hier spürbar. Er stand auf, machte das Fenster wieder zu und drehte die Heizung hoch. Ein ums andere Mal schaute er zur Uhr, die Zeiger bewegten sich langsamer als sonst.
Er ging zu den Kollegen vom Kriminaldauerdienst, nahm sich einen Kaffee und unterhielt sich mit Maletzki, der seit beinahe neun Jahren beim KDD war und es mittlerweile zum Oberkommissar gebracht hatte. Bei dem Gespräch erfuhr er von einem Raubüberfall auf eine Tankstelle letzte Nacht, bei dem die Täter tausendfünfhundert Euro erbeutet hatten. Die Räuber waren maskiert gewesen, das Nummernschild ihres Fahrzeugs gestohlen. Sie hatten den Angestellten brutal niedergeschlagen. Er lag im Krankenhaus, sein Zustand war kritisch.
»Die werden immer brutaler, und das wegen ein paar hundert Euro. Wenn uns nicht der Zufall hilft, schnappen wir die nie.«
»Keine Zeugen?«
»Nachts um drei? Außerdem handelt es sich eindeutig um Serientäter. Sie sind nach genau dem gleichen Muster vorgegangen wie in Kiel und Celle. Die bewegen sich immer weiter Richtung Süden.«
»Leitest du die Ermittlungen?«
»Ja, aber ich stehe in Verbindung mit den Kollegen aus Kiel und Celle. Trotzdem werde ich jetzt Feierabend machen. Ich binseit fast zwanzig Stunden auf den Beinen. Sollen die andern sich drum kümmern.«
»Ich muss auch wieder zurück in mein Büro, ich erwarte einen dringenden Anruf.«
»Die Sache mit den beiden Lehrern?«
Brandt nickte nur. Maletzki stellte keine Fragen. Er nahm seine Jacke vom Haken, zog sie über, begleitete Brandt bis zu dessen Büro, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Halt die Ohren steif. Wir sehen uns.«
»Schlaf gut.«
Brandt schaute wieder zur Uhr, drei vor fünf. Er hatte sich wohl doch in Carmen getäuscht. Also würde er sie morgen von einem Streifenwagen abholen und herbringen lassen. Er ging in Eberls Büro, nahm den Telefonhörer in die Hand und tippte die Nummer von Andrea ein, als sein Telefon klingelte. Er legte schnell wieder auf, rannte in sein Büro und nahm ab.
»Ja?«
»Sie haben gesagt, ich soll bis fünf anrufen. Ich dachte mir aber, es wäre vielleicht besser, wenn ich persönlich vorbeikommen würde. Kann ich hochkommen?«
»Wo sind Sie?«
»Beim Pförtner.«
»Erster Stock, dritte Tür links, mein Name steht dran.«
Sie legte einfach auf, Brandt kniff die Augen zusammen. Was zum Teufel soll das?, fragte er sich. Warum kommt sie her? Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und starrte an die Tür. Kurz darauf hörte er Schritte auf dem Gang und dann ein zaghaftes Klopfen.
»Kommen Sie rein.«
Carmen Schirner machte die Tür weit auf und trat ein, hinter ihr Kerstin Abele und Silvia Esslinger.
»Hier sind wir. Ich habe meinen Vater und Teichmann umgebracht.« Ihre Stimme klang fest und klar.
»Okay. Aber warum haben Sie sich Verstärkung mitgebracht?«,fragte Brandt, der aufgestanden war, die Hände in den Hosentaschen vergraben.
»Ich habe Herrn Schirner und Herrn Teichmann umgebracht«, sagte Silvia Esslinger mit ebenso fester Stimme, und diesmal war kein spöttisches Aufblitzen in ihren Augen.
»Moment, Sie behaupten also …«
»Ich habe Herrn Schirner und Herrn Teichmann umgebracht«, wurde er von Kerstin Abele unterbrochen, die überraschend ruhig wirkte.
Brandt war sprachlos. Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Mit allem hatte er gerechnet, doch nicht damit, dass plötzlich drei junge Damen am späten Sonntagnachmittag in seinem Büro stehen und behaupten würden, sie seien die Mörderinnen von Schirner und Teichmann. Er setzte sich, stand aber gleich wieder auf, um aus Eberls Büro noch einen Stuhl zu holen, weil in seinem nur zwei waren.
»Bitte, nehmen Sie Platz.« Er wartete, bis sie sich gesetzt hatten. Er selbst blieb stehen und sah von einer zur andern. Er wunderte sich über die Ruhe, die alle drei ausstrahlten, eine Ruhe, die er bisher nur bei Verbrechern gesehen hatte, denen mit einem Mal alle Last von den Schultern gefallen war.
»Sie wollen mir allen Ernstes weismachen, dass Sie alle drei zusammen mit Frau Russler die Taten begangen haben? Warum lügen Sie?«
»Herr Brandt«, antwortete Carmen scharf, »wir lügen nicht.
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