Tod eines Lehrers
sein. Die Mutter hat gesagt, ihre Tochter habe eben schon immer einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn gehabt, und wenn das alles stimmen sollte, dann hat sie in ihren Augen richtig gehandelt. Sie haben gestern Abend noch ihren Anwalt eingeschaltet. Der Abele hat nur gemeint, seine Tochter soll zusehen, wie sie zurechtkommt, sie ist nicht länger seine Tochter. Wer jemanden umbringen kann, kann auch für sich selbst sorgen. Muss ein hammerharter Typ sein.«
»Das habe ich fast erwartet, der war mir vom ersten Moment an unsympathisch. Können die Eltern der Esslinger ihr vielleicht einen guten Anwalt besorgen?«
»Frag du sie oder sprich mit dem Vater der Abele. Du kannst das doch.«
»Ja, ja, ich kann das doch.« Brandt rollte mit den Augen. »Warum eigentlich immer ich?«
»Weil du unser bester Mann bist. Komm, gib dir einen Ruck. Nach dem, was mir Nicole berichtet hat, brauchen die Mädchen Hilfe.«
»Ausnahmsweise, obwohl das nicht meine Aufgabe ist. Was ist mit der Mutter der Schirner? Weiß die Bescheid?«
»Nein, ihre Tochter hat sich geweigert, sie anzurufen. Und zwingen können wir sie nicht, sie ist volljährig.«
»Wo sind die drei untergebracht?«
»Noch in unseren netten kleinen Zellen. Sie werden heute Mittagdem Haftrichter vorgeführt und danach in U-Haft kommen. Warum?«
»Ich will mit Carmen sprechen. Kannst du sie mal herbringen lassen? Ich rufe derweil bei ihrer Mutter an. Die beiden müssen miteinander reden, bevor die Mutter es von andern erfährt.«
»Okay.«
Brandt begab sich in sein Büro und tippte die Nummer von Helga Schirner ein. Sie meldete sich nach dem zweiten Klingeln.
»Hier Brandt. Frau Schirner, wäre es Ihnen möglich, in einer Stunde hier im Präsidium zu sein?«
»Weshalb sollte ich das tun?«
»Weil es um Ihre Tochter geht. Haben Sie sich noch gar nicht gewundert, dass sie nicht zu Hause ist?«
»Nein, mich wundert überhaupt nichts mehr. Ich habe nur gehört, dass sie meinen Mann und ihren Vater ermordet hat. Ich wüsste also nicht, was ich bei Ihnen soll.«
»Wie haben Sie es erfahren?«
»Herr Esslinger war so freundlich, es mir mitzuteilen.«
»Kommen Sie bitte trotzdem her. Ich kann Ihnen einen Streifenwagen schicken, der Sie herbringt und auch wieder nach Hause fährt. Sobald Sie hier sind, sagen Sie nur beim Pförtner Bescheid, ich hole sie dann ab.«
»Und wenn ich nicht will?«
»Es geht um Ihre Tochter, die Ihnen sicher eine Menge zu sagen hat. Haben Sie verstanden, es geht um Ihre Tochter.«
Einen Augenblick herrschte Stille, Brandt hörte nur das Atmen am andern Ende, bis Helga Schirner sagte: »Also gut, aber erwarten Sie nicht zu viel von mir.«
Brandt drückte auf die Gabel und rief in Langen an und bat darum, einen Streifenwagen zu Schirner zu schicken und die Frau so bald wie möglich ins Präsidium zu bringen. Als er zurück in Spitzers Büro ging, war Carmen bereits da. Sie wirkte übernächtigt. Kein Wunder, dachte Brandt, in diesen Zellen könnte ich auch kein Auge zumachen.
»Gehen wir in mein Büro«, sagte er. Carmen folgte ihm wortlos. Er machte die Tür hinter sich zu und bat sie, sich zu setzen.
»Was gibt’s?«, fragte sie, und obgleich sie müde schien, war ihr Stolz dennoch ungebrochen.
»Sie wollten gestern nicht mehr Ihre Mutter anrufen. Weshalb nicht?«
»Mir war nicht danach. Ich mach es nachher.«
»Ich habe sie bereits informiert, sie wird in einer Stunde hier sein. Ist Ihnen das recht?«
»Von mir aus. Sie wird zwar nicht begreifen, was ich ihr zu sagen habe, aber ich muss es trotzdem versuchen.«
»Wie war es denn gestern Abend mit Frau Klein?«, wollte Brandt wissen.
»Sie hat viele Fragen gestellt, und wir haben sie beantwortet. Sie ist ganz nett, ganz anders, als ich mir Staatsanwälte immer vorgestellt habe. Es gibt doch diese Gerichtssendungen im Fernsehen. Ich habe zwar nur sehr selten Gelegenheit, mir so was anzuschauen, aber die Staatsanwälte dort sind immer ziemlich hart.«
»Hat sie Ihnen Anonymität zugesichert?«
»Ja. Sie will alles dafür tun, dass der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Sie bekommen die Videos aber trotzdem erst, wenn ich die schriftliche Zusicherung habe«, betonte sie noch einmal.
»Was ist mit einem Anwalt?«
Über Carmens Lippen huschte ein Lächeln, als sie antwortete: »Mir ist ein sehr guter empfohlen worden, den ich auch gleich anrufen wollte.«
»Ihnen ist einer empfohlen worden? Von wem, wenn ich fragen darf?« Brandt ahnte es, aber er wollte
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