Tod eines Lehrers
mir gemacht. Ich habe die Videos in seinem Büro gefunden, eins davon liegt schon hier bei der Polizei. Dein Mann war nicht der Mensch, als den wir ihn kannten. Vielleicht früher einmal, aber das ist lange her. Er hat sich verändert, du hast dich verändert.«
»Inwiefern habe ich mich verändert?«
Carmen sah ihre Mutter mitleidig an und sagte: »Schau dich doch an. Aus was besteht denn dein Leben? Wenn es deine Berufung ist, den ganzen Tag nur zu putzen, bitte, ich kann dich nicht daran hindern, aber Papa hatte unzählige Affären mit andern Frauen. Das wusste ich schon lange, habe aber geschwiegen, um dir nicht wehzutun. Ich hätte auch weiter geschwiegen, ihr wart für eure Ehe allein verantwortlich, aber als ich das mit den Schülerinnen erfuhr, da ist für mich eine Welt zusammengebrochen, nämlich
meine
heile Welt! Hörst du, meine heile Welt ist zusammengebrochen. Er und Eberhard haben solche unsäglichen Schweinereien begangen, nein, Mutti, das konnte ich beim besten Willen nicht dulden.«
»Sonst noch etwas?«
»Ist das alles, was du dazu zu sagen hast? Sonst noch etwas?«
»Dein Vater war ein guter Mann, und er wird es in meinem Herzen immer bleiben. Ich verachte dich und diese Kerstin und wie sie nicht alle heißen. Ich wusste, dass du ein verlogenes Miststück bist und dass du dich nur rausreden willst. Dein Vater hätte niemals einem andern Menschen wehgetan. Niemals, hörst du!«
»Also gut«, entgegnete Carmen zynisch, »leb doch weiter in
deiner
kleinen heilen Welt, putz jeden Tag schön die Fenster, achte darauf, dass auch kein Krümel auf dem Boden liegt, waschdie Wäsche und bügel die Wischtücher … Mein Gott, ich hätte wirklich mit mehr Verständnis von dir gerechnet. Aber ich habe mich getäuscht, so wie ich mich in Papa getäuscht habe. Ich habe dich immer sehr lieb gehabt, aber ich denke, du solltest jetzt besser gehen.«
»Das wollte ich sowieso«, sagte Helga Schirner, die ihre Handtasche fest umklammert hielt und so abrupt aufstand, dass der Stuhl umfiel. »Du bist für mich tot, so tot wie dein Vater jetzt ist. Ich will nie wieder etwas mit dir zu tun haben, du Heuchlerin! Studierst Theologie und bringst Menschen um! Was bist du doch schäbig!«
»Bringen Sie mich bitte zurück in meine Zelle, meine Mutter möchte gehen«, sagte sie zu dem Beamten, der sich erhob und auf Carmen zukam.
»Moment, ich habe doch noch etwas zu sagen. Verschließ weiter die Augen vor der Realität, denk weiter, dass dein Mann so toll war. Werd einfach glücklich mit deiner rosaroten Brille. Ich habe jedenfalls eben gemerkt, dass ich auch ohne dich auskomme. So, ich bin bereit.«
Montag, 10.05 Uhr
N achdem Brandt seine Pistole, seine Geldbörse, selbst die Uhr in die Schale gelegt und die Schleuse passiert hatte, wurde er von einer Schließerin zu Anja Russlers Zelle geführt. Sie lag auf dem Bett, in der einen Hand eine Zigarette, in der andern ein Buch.
»Hallo«, wurde er von ihr begrüßt, »das ist aber eine Überraschung. Was verschafft mir die Ehre?«
»Ich wollte sehen, wie es Ihnen geht, und ich wollte Ihnen auch etwas mitteilen.« Er sah um sich und sagte: »Sie haben eine schöne Zelle.«
»Auf jeden Fall bequemer als die im Präsidium. Aber Sie sindbestimmt nicht gekommen, um sich mit mir über meine … neue Wohnung zu unterhalten.«
»Nein, natürlich nicht.« Er setzte sich verkehrt herum auf den Holzstuhl, die Arme auf der Lehne. »Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass Sie bald Gesellschaft bekommen werden. Sie können sich denken, von wem ich spreche, oder?«
Anja Russlers Gesicht wurde zu Stein, als sie mit belegter Stimme sagte: »Wer?«
»Drei junge Damen, die sich gestern freiwillig gestellt haben. Sie haben alle unabhängig voneinander zugegeben, an den Morden beteiligt gewesen zu sein.«
»Sie lügen, ich war es allein.«
»Wer lügt, ich oder Ihre Freundinnen?«
»Alle.« Sie drückte mit fahrigen Bewegungen ihre Zigarette aus und steckte sich gleich eine neue an.
»Frau Russler, ich kann mir in etwa vorstellen, was in Ihnen vorgeht, aber Carmen, Kerstin und Silvia wurden getrennt verhört. Die Aussagen sind absolut identisch, und es wurden Details genannt, die nur wir und die Täter wissen können. Es hat also keinen Sinn, weiter die ganze Schuld auf sich zu nehmen. Ihr Anwalt wird Sie auch dementsprechend beraten.«
»Sie sind wirklich freiwillig zu Ihnen gekommen?«
»Ja, ich hatte doch keine Handhabe, sie zu verhaften. Es gab bisher nur Sie und die
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