Tod eines Lehrers
der Wahnsinnige, der seinen einzigen und besten Freund umgebracht hatte?
Raubmord hatte der Kommissar gesagt. Es war ihm wohl nur so rausgerutscht.
Ihre Häuser lagen bloß drei Gehminuten auseinander. Jeden Morgen vor der Schule gingen sie mit den Hunden raus, Schirner in Richtung Schloss, Teichmann zum Kiosk, um Brötchen und die Zeitung zu holen. Wenn sie auch sonst unzertrennliche Freunde waren, mit Schirner zu laufen war kein Vergnügen, denn was er gemacht hatte, waren keine Spaziergänge. Er lief in einem Tempo, mit dem Teichmann nicht mithalten konnte und wollte.Ein Spaziergang bedeutete für ihn, gemütlich zu gehen und nicht zu rennen. Auch abends ging jeder für sich allein, weil Teichmann selten später als um dreiundzwanzig Uhr zu Bett ging, während Schirner um diese Zeit erst losmarschierte. Er drehte seine Runden mit Dina immer schon um neun, badete danach und legte sich schlafen.
Er nahm die Flasche und das Glas, setzte sich in seinen Ledersessel, lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Dina legte sich zu seinen Füßen, wie sie das immer machte, wenn Teichmann in seinem Sessel saß. Die vorübergehend verschwundene Übelkeit machte sich wieder bemerkbar. Teichmann stellte die Flasche mit dem Glas auf den Tisch und ging ins Bad, wo er sich übergab. Er hatte seit dem Morgen nichts gegessen und zu viel getrunken, und da er ohnehin seit zwei Jahren Magenprobleme hatte, war dieses Erbrechen die logische Konsequenz seines übermäßigen Alkoholkonsums. Er würgte noch ein paarmal, wusch sich die Hände und das Gesicht mit kaltem Wasser, besah sich im Spiegel und sagte leise zu sich selbst: »Arschloch, gottverdammtes Arschloch.« Ein Blick auf die Uhr, zehn nach fünf. Er hörte, wie die Tür aufging und Natalia hereinkam. Sie gab ihm einen Kuss auf den Mund, rümpfte die Nase und sagte: »Wo warst du so lange? Ich war vorhin schon mal oben und habe mich gewundert, dass du nicht da bist. Außerdem, wie siehst du eigentlich aus? Geht’s dir nicht gut? Hast du wieder getrunken?«
»Ich bin okay«, antwortete er mit einem versuchten Lächeln, das gründlich misslang.
»Ich habe unten noch Patienten, es wird bestimmt sechs, bis ich fertig bin, aber …«
»Rudolf ist tot«, sagte Teichmann leise und ließ sich in den Sessel fallen.
»Bitte was? Was ist passiert?«
»Er wurde letzte Nacht ermordet. Irgendjemand hat ihn kaltblütig abgestochen wie einen räudigen Köter. Ich wollte mich besaufen, aber es klappt nicht.«
»Soll ich dir etwas zur Beruhigung geben?«
»Nein. Nachher, wenn ich mit Dina rausgehe, werde ich mich schon beruhigen.«
»Wo hat man ihn umgebracht?«
»Drüben im Wald. Die Polizei sagt, es war ein Raubmord. Dabei hatte Rudolf doch wahrlich keine Reichtümer angehäuft. Aber heutzutage morden diese Typen ja schon für ein paar Mark oder Euro. Was ist das bloß für eine verkommene Gesellschaft, in der wir leben?«
»Das tut mir Leid, das tut mir so unendlich Leid. Ich beeil mich und mach spätestens um sechs zu. Und dann sprechen wir, wenn du willst.«
»Worüber denn? Über Rudolf? Oder etwa über uns?«
»Nicht schon wieder. Wir führen doch eine gute Ehe …«
»Eine gute Ehe? Das Haus ist leer. Nur wir zwei und Dina. Du weißt genau, was mir fehlt.«
»Natürlich weiß ich das. Und du wirst es bekommen«, sagte sie leise und mit diesem Lächeln, in das Teichmann sich einst verliebt hatte und das er immer noch liebte.
»Ach ja, wann denn?«, seufzte er auf. »Deine biologische Uhr tickt und tickt, und irgendwann wird es zu spät sein.«
Sie setzte sich auf die Sessellehne und streichelte ihm über den Kopf. »In etwa acht Monaten.«
Einen Moment lang herrschte Stille. Dina sah die beiden von unten herauf an, als hätte sie verstanden, was Natalia gerade gesagt hatte. Teichmann wandte seinen Kopf und sagte: »Du bist schwanger? Ist das wahr oder …«
»Damit macht man keinen Spaß. Ja, ich bin schwanger. Ich weiß es seit gestern. Meine Periode ist seit zwei Wochen überfällig, und da habe ich einen Test gemacht. Du wirst Vater.«
Teichmann stiegen Tränen in die Augen. Er nahm Natalia in den Arm und drückte sie an sich. »Mein Gott, diese Nachricht ausgerechnet heute. Da könnte ich die ganze Welt verfluchen und jetzt … Ich freue mich so sehr, das kannst du gar nicht glauben.«
»Doch. Ich habe schon vor drei Monaten die Pille abgesetzt, ohne es dir zu sagen. Und es hat geklappt.«
»Und die Praxis?«
»Ich werde das Kind bekommen und wieder
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