Tod eines Lehrers
einen ruhigen Tisch zugewiesen bekommen. Eine groß gewachsene, sehr schlanke, schöne und anmutigeInderin in einem leuchtend grünen, mit feinen Ornamenten versehenen Seidenkleid brachte ihnen die Speisekarte. Alles an ihr drückte Stolz, doch keine Überheblichkeit aus, ihr Gang, ihre Bewegungen, ihre Augen, die Art, wie sie sprach. Sie hatte langes schwarzes Haar, das zu einem kunstvollen Zopf geflochten war, beinahe magische dunkle Augen und einen zu ihrem ganzen Erscheinungsbild passenden nicht zu vollen Mund, dessen Lippen mit einem dezenten Stift nachgezogen waren. Teichmann war schon einige Male mit Natalia in diesem Restaurant gewesen, und jedes Mal aufs Neue war er fasziniert von dieser jungen Frau, die er auf höchstens dreißig schätzte. Natalia war schon etwas Besonderes, doch diese Frau betrachtete er fast wie ein Kunstwerk, unantastbar und kühl, und vielleicht war es genau das, was ihn so beeindruckte.
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen?«, fragte sie, wobei ein Lächeln, das so dezent und gleichzeitig so unnahbar war, ihre Lippen umspielte.
»Wir hätten gerne Früchtetee, und zwar den des Hauses«, antwortete Teichmann und sah die neben ihm stehende Schönheit kurz an, auch wenn er ihr gerne einen längeren Blick zugeworfen hätte. Sie nickte kaum merklich mit dem Kopf und begab sich wieder zurück an die Theke.
»Dein Blick spricht Bände, mein Lieber«, sagte Natalia und sah ihren Mann leicht spöttisch an. »Diese Frau hat es dir wohl angetan, was?«
»Ja, das gebe ich zu, aber nicht, wie du vielleicht denkst. Sie strahlt etwas aus, das nicht zu beschreiben ist«, erwiderte er leise, sodass die Gäste an den Nachbartischen nichts von dem Gespräch mitbekamen.
Natalia beugte sich nach vorn und sagte ebenso leise: »Was ist denn so besonders an ihr?«
»Ich kann es nicht beschreiben. Sie strahlt Stolz, Würde, irgendwie etwas Geheimnisvolles aus. Ich könnte sie nur mit einem Edelstein vergleichen, der hinter einer dicken Glaswandliegt und den keiner jemals berühren darf, weil derjenige, der ihn berührt, sonst sein Leben verliert.«
»Das hört sich ja richtig poetisch an«, meinte Natalia. »Was siehst du noch in ihr?«
»Wenn ich jetzt ein Schriftsteller wäre, würde ich vielleicht denken, dass sie aus einem sehr vornehmen Haus kommt, mit vielen Dienern, eine exzellente Ausbildung genossen hat und nur in den besten Kreisen verkehrte. Dann ist irgendwann etwas passiert, vielleicht wurde … Ach was, ich fantasiere und will dich nicht langweilen.«
»Nein, nein, mach weiter, ich höre dir gerne zu.«
»Vielleicht wurde ihre Familie vertrieben oder ermordet, und sie muss jetzt hier in diesem Restaurant ihren Unterhalt verdienen. Wer weiß?«
»Sie ist wirklich schön. Würdest du mit ihr schlafen wollen?«
»Was soll diese Frage …«
»Beantworte sie einfach nur. Würdest du gerne mit ihr schlafen? Sie ist bestimmt eine der schönsten Frauen, die es gibt. Und ich kann mir vorstellen, dass jeder Mann davon träumt, einmal mit einer solchen Frau …«
»Jetzt ist aber gut«, wurde sie von Teichmann unwirsch unterbrochen. »Du weißt genau, dass ich das niemals tun würde. Und nach der unglaublichen Nachricht von vorhin würde ich nicht einmal im Traum daran denken, mit einer andern Frau etwas anzufangen. Ich werde nicht einmal mehr einer nachschauen.«
Natalia lächelte beinahe mystisch und sagte: »Auch nicht deinen jungen knackigen Schülerinnen?«
»Was soll diese Frage? Als wenn ich mir aus diesem jungen Gemüse etwas machen würde. Wie kommst du überhaupt auf so einen Unsinn?« Er wurde immer aufgebrachter und mahnte sich zur Ruhe.
»Nur so«, antwortete Natalia schulterzuckend und spielte mit dem Untersetzer. »Ich würde jetzt gerne eine Zigarette rauchen.«
»Aber du hast doch schon vor Jahren damit aufgehört. Wieso ausgerechnet jetzt, wo du schwanger bist?«, fragte Teichmann sichtlich überrascht.
»Vielleicht gerade deswegen. Man bekommt die unmöglichsten Gelüste, wenn man schwanger ist. Aber du hast wohl Recht, ich sollte nicht wieder damit anfangen. Lass uns über etwas anderes reden, nicht über andere Frauen, das vertrage ich im Moment nicht so gut.«
»Entschuldige mal, du hast damit angefangen.«
»Siehst du, du kennst die Frauen eben noch immer nicht. Du hättest gar nicht erst darauf eingehen sollen. Sag, wie war das heute, als die Polizei in der Schule war. Was haben die gefragt?«
»Den üblichen Kram. Ob Rudolf Feinde hatte und so
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