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Tod eines Lehrers

Tod eines Lehrers

Titel: Tod eines Lehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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bestellt und sie innerhalb von wenigen Minuten getrunken. Die Übelkeit, die er seit der Nachricht vom Tod seines besten Freundes verspürt hatte, wurde vom Alkohol allmählich fortgespült, das innere Zittern ebbte ab. Nach einem dritten Bier fuhr er zu seinem Haus, in dem sich auch die Praxis seiner Frau befand. Sie war fünfunddreißig, praktische Ärztin und Ärztin für Naturheilkunde. Er hatte sie vor acht Jahren kennen gelernt, nur vier Monate nachdem sie aus Minsk nach Deutschland gekommen war. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, auch wenn sich diese Liebe an einem außergewöhnlichen Ort entwickelte – in einem Bordell, wo Natalia als Luxushure arbeitete. Ihr war es ergangen wie so vielen anderen Frauen, die kurz nach der Wende aus den baltischen Staaten, aus Weißrussland, Russland, der Ukraine oder anderen osteuropäischen Ländern gekommen waren und immer noch kamen und die auf die falschen Versprechungen dubioser Menschenhändler hereinfielen, die ihnen eine goldene Zukunft im Westen versprachen. Unter ihnen befanden sich Lehrerinnen, Unidozentinnen, Studentinnen, Ärztinnen, diemeisten hatten eine exzellente Ausbildung genossen. Viele von den Frauen, die in dem Bordell gearbeitet hatten, waren Akademikerinnen. Er hatte damals einen Großteil seines Ersparten zusammengekratzt – fünfzigtausend Mark –, um sie von dem Betreiber des Bordells, der gleichzeitig ihr Zuhälter war, freizukaufen. Nur einen Monat später hatten sie geheiratet, sie absolvierte ein Zusatzstudium, das es ihr ermöglichte, auch in Deutschland als Ärztin zu praktizieren, und mittlerweile verdiente sie ein Vielfaches von dem, was er als Lehrer monatlich auf sein Konto überwiesen bekam. Er liebte sie immer noch, aber insgeheim wurmte es ihn, dass sie so erfolgreich und er nur ein vergleichsweise kleiner Beamter war. Sie sprach perfekt deutsch, wenn auch mit diesem unvergleichlichen russischen Akzent, der in seinen Ohren so ungemein erotisch klang. Sie war eine rassige Schönheit mit halblangen schwarzen Haaren und ozeanblauen Augen, sanft geschwungenen Lippen und einer Haut mit einem leichten Braunton. Er wusste, es gab viele Männer, die sich nichts sehnlicher wünschten, als einmal mit dieser Frau eine Nacht zu verbringen. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er den Verdacht, sie könnte etwas mit einem andern haben, aber dieser Verdacht war zum Glück unbegründet gewesen. Ihre Ehe war bis jetzt kinderlos geblieben, und wie es schien, würde es in diesem Haus auch nie Kinder geben, weil Natalia offensichtlich keine wollte. Er hatte in den letzten Jahren oft versucht sie umzustimmen, aber der Beruf war ihr Ein und Alles, und in diesem von ihr gewählten Leben war kein Platz für Kinder. Sie hätte Abstriche machen, vielleicht sogar die Praxis schließen müssen, und das brachte sie nicht übers Herz.
    Er schaute kurz ins Wartezimmer. Eine Patientin wartete darauf, therapiert zu werden. Teichmann warf der Sprechstundenhilfe ein Hallo zu und begab sich in den ersten Stock. Natalia hatte die Praxis sogar am Mittwochnachmittag geöffnet, während alle andern Ärzte zuhatten. Mittwochs hielt sie ausschließlichtherapeutische Sitzungen ab, obgleich sie das nicht nötig gehabt hätte.
    Dina, eine Irish-Setter-Hündin, kam auf ihn zugerannt, sprang an ihm hoch, leckte sein Gesicht und drückte damit ihre Freude aus, ihn wiederzusehen. Sie wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, und Teichmann kraulte gedankenverloren ihren Nacken und tätschelte ihr ein paarmal den Rücken. Er warf seine Aktentasche aufs Sofa, blieb einen Moment unschlüssig in der Mitte des Zimmers stehen, sah nach, ob Dina noch genügend Wasser hatte, dann stellte er sich ans Fenster und schaute hinaus auf die eisige Landschaft. Seine Gedanken kreisten in einem fort um seinen Freund Schirner. Seit fast zwanzig Jahren waren sie befreundet, waren durch dick und dünn gegangen, hatte Schirner ihn beraten, als er im Zweifel war, ob er Natalia aus dem Bordell freikaufen sollte oder nicht. Schirner sagte, nachdem er sie einmal gesehen hatte, er würde keinen Moment zögern, und irgendwie glaubte Teichmann immer noch, dass Schirner mit ihr geschlafen hatte, aber sie hatten nie darüber gesprochen. Und jetzt war Schirner tot. Einfach so.
    Er drehte sich um und ging zum Schrank, öffnete das Barfach, holte eine Flasche Wodka heraus, schenkte ein Glas halb voll ein und trank es in einem Zug leer. Er wollte sich betrinken, doch heute verfehlte der Alkohol seine Wirkung. Wer war

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