Tod eines Lehrers
musste. Denn mein Vater stammt aus einem sehr alten Adelsgeschlecht, auch wenn der Name längst nicht mehr darauf hindeutet.Aber die Genealogie ist faszinierend, er ist schon bis 1445 gekommen.«
»Und um was für ein Adelsgeschlecht handelt es sich, wenn ich fragen darf?«
»Von Schirnow. Seine Vorfahren kommen ursprünglich aus Pommern. Weil es aber einige Juden in der Linie gab, die im 17. Jahrhundert gerade dort zum Teil heftigen Verfolgungen ausgesetzt waren, hat mein Urgroßvater oder Ururgroßvater den Namen in Schirner ändern lassen und den ganzen Adelskram quasi unter der Hand weitergeführt. Die Schirners oder von Schirnows besitzen auch heute noch oder besser gesagt wieder ausgedehnte Landflächen und Gutshöfe in Pommern. Aber glauben Sie bloß nicht, dass sie reich sind. Die Zeiten sind vorbei.«
»Adlige Juden?«, fragte Nicole Eberl zweifelnd.
»Einer hat vor vier- oder fünfhundert Jahren eine Jüdin geheiratet, sie haben acht Kinder bekommen und dadurch ist natürlich die gesamte Familie verunreinigt worden, wie ein guter Arier sagen würde. Dann kam eine Pestepidemie, und die Juden wurden wieder einmal dafür verantwortlich gemacht. Aber die unmittelbaren Nachkommen, ich meine die Blutlinie, haben natürlich auch jüdisches Blut in den Adern gehabt. Wenn man’s genau betrachtet, fließt in meinen Adern auch noch ein winziger Teil jüdisches Blut. Glücklicherweise haben die Nazis nie etwas davon mitbekommen, sonst würde es uns heute nicht geben.«
»Interessant. Und darüber wollte er ein Buch schreiben?«
»Ja. Er hat mir erzählt, dass es unzählige Familien in Deutschland gibt, die, ohne es zu wissen oder auch nur zu ahnen, einen jüdischen Vorfahren haben. Er wollte damit wohl die Menschen sensibilisieren in der Form, dass er gesagt hat: Wer mit dem Finger auf Juden zeigt, sollte erst einmal in seiner eigenen Familie schauen, ob es da nicht auch jüdische Vorfahren gibt. Eigentlich wäre es ein sehr positives Buch geworden, das viele aufgerüttelt hätte.«
»Woher weißt du das alles, Kind?«, fragte Helga Schirner erstaunt, aber auch mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck.
»Weil Papa mit mir darüber gesprochen hat.«
»Und warum nicht mit mir?«
»Was weiß ich, er wird schon seine Gründe gehabt haben. Aber das interessiert die Polizei bestimmt nicht. Ich habe Ihnen jedenfalls alles erzählt, was ich weiß.«
»Wir sind Ihnen sehr dankbar. Wir gehen dann mal. Und sollten wir Unordnung gemacht haben, dann bitten wir das zu entschuldigen, es soll nicht wieder vorkommen.«
Helga Schirner schluckte schwer, machte die Tür wieder zu, schloss ab und wollte den Schlüssel in die Hosentasche stecken, als Carmen sagte: »Gib mir den Schlüssel, bitte. Er hätte es so gewollt.«
»Woher willst du das wissen?«, wurde sie von ihrer Mutter angefaucht.
»Ich weiß es, und das reicht.«
»Nein. Er war mein Mann, und dieses Zimmer wird kein Mensch jemals mehr betreten! Ich bin ab jetzt hier für alles zuständig. Und wenn ich alles sage, dann meine ich das auch so.«
»Wie du willst«, entgegnete Carmen nur und ging hinter den Beamten die Treppe hinauf, während ihre Mutter unten blieb und ihnen nachsah.
»Das ist meine Mutter«, sagte sie leise. »Jetzt haben Sie sie richtig kennen gelernt. Aber was auch immer Sie von ihr denken, sie ist eine gute Mutter, nur eben ein bisschen eigen. Ihr Problem ist, dass sie mit meinem Vater intellektuell nie mithalten konnte, obwohl sie nicht dumm ist. Aber sie hat sich nie für das interessiert, was er gemacht hat. Sie haben ja gemerkt, sie wusste bis eben nicht einmal etwas von der Familienchronik und dass er an einem Buch gearbeitet hat.«
»Danke, dass Sie uns geholfen haben.«
»Warten Sie, ich komme mit nach draußen. Ich brauch einbisschen frische Luft, und vor allem will ich eine rauchen.« Sie zündete sich an der Haustür eine Zigarette an und begleitete Brandt und Eberl zum Auto.
»Sagen Sie, wusste außer Ihnen noch jemand von dem Vorhaben Ihres Vaters?«
»Sie meinen das mit dem Buch?«
»Hm.«
»Nein. Er hat es mir einmal im Vertrauen erzählt und mich gebeten, es für mich zu behalten.«
»Und Herr Teichmann?«
Carmen zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Es könnte natürlich sein, er war schließlich sein bester Freund. Aber selbst wenn, Sie glauben doch nicht, dass das der Grund für seinen Tod sein könnte, oder?«
»Nein, eigentlich nicht. Nochmals danke und hoffentlich … Na ja, Ihre Mutter scheint ganz schön
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