Tod eines Lehrers
Sie.«
Die Stufen, die hinab in den Keller führten, waren mit Teppichboden belegt, die Wände mit Raufaser tapeziert und weiß angestrichen. Keine Spinnweben, kein Fussel auf dem Boden, selbst hier wirkte alles beklemmend steril, im Gegensatz zu Brandts Keller, in dem alles Gerümpel verstaut war, für das er in der Wohnung keinen Platz fand. Ich müsste mal wieder da unten aufräumen, dachte er. Die Türen zum Heizungskeller, zur Waschküche und zu zwei anderen Räumen waren geschlossen. Helga Schirner bewegte sich auf eine direkt vor ihnen liegende zu. »Hier ist das Arbeitszimmer meines Mannes. Und wie gesagt, Sie lassen alles so, wie es ist.«
»Sicher«, erwiderte Brandt und betrat mit Nicole Eberl das Zimmer. Es schien der einzige Raum in diesem Haus zu sein, der nicht diese Unpersönlichkeit und Kälte ausstrahlte, ein kleines Fenster ließ nur einen Hauch von Licht herein. Das Zimmer war erstaunlich groß, mit einer niedrigen Decke, in die zehn Halogenbirneneingelassen waren. Helga Schirner blieb im Türrahmen stehen, die Arme vor der Brust verschränkt. Ihr Blick drückte Misstrauen aus, aber keine sonstigen Emotionen. Auf dem antiken Schreibtisch waren drei volle Ablagekörbe, eine Unterlage, ein Stiftehalter, ein Bild von Henry in einem goldenen Rahmen und eine grüne Leselampe, wie man sie oft in Bibliotheken fand. In der rechten Ecke stand ein weiterer Tisch mit einem modernen PC mit Internetzugang, einem Telefon und einem Faxgerät, daneben ein mahagonifarbener Aktenschrank. Dann waren da noch ein zum Schreibtisch passender alter Chefsessel aus braunem Leder und vor dem PC ein brauner Bürostuhl. Eine Regalwand mit zahlreichen Sach- und Fachbüchern zu allen möglichen Themen befand sich an der linken Wand, ein kleiner Kühlschrank surrte leise vor sich hin. Brandt warf einen kurzen Blick hinein, doch er enthielt nichts außer ein paar Flaschen Bier und Cola und eine noch halb volle Flasche Wodka. An einer Wand hing eine überdimensionale Weltkarte, an einer andern ein paar Landschaftsaufnahmen. Erst jetzt bemerkte Brandt, dass der Schreibtisch keine Schubfächer hatte, sondern zwei Türen, die abgeschlossen waren.
»Gibt es einen Schlüssel für den Schreibtisch?«, fragte er.
»Sicher gibt es den, aber was wollen Sie damit? Ich habe doch ausdrücklich darum gebeten, dass nichts angefasst wird.«
»Haben Sie eine Erklärung, warum Ihr Mann den Schreibtisch abgeschlossen hat?«
»Nein, habe ich nicht. Aber er wird wohl seine Gründe dafür gehabt haben. Ich kann Ihnen leider nicht helfen, denn ich weiß nicht, wo der Schlüssel ist.«
»Ich weiß, wo der Schlüssel ist«, sagte Carmen Schirner, die lautlos die Treppe heruntergekommen war und plötzlich hinter ihrer Mutter stand, die sich erschrocken umdrehte. »Er liegt in der obersten Schublade des PC-Tisches.«
»Danke«, sagte Brandt, zog die Schublade heraus, nahm den Schlüssel und hielt ihn hoch. »Der hier?«
»Ja.«
»Woher weißt du, wo …«
»Papa hat’s mir mal gesagt. Der hat da drin keine Geheimnisse, nur Unterlagen. Aber du kennst ihn doch, er ist ein Pedant. Bei ihm muss alles seine Ordnung haben, wie bei dir, nur eben ein bisschen anders.«
Der Schlüssel passte für beide Türen. Brandt warf Nicole Eberl einen eindeutigen Blick zu, nahm einen der Aktenordner heraus und blätterte kurz darin.
»Ist okay, hier sind nur Rechnungsordner und Verwaltungskram. Danke, dass Sie uns geholfen haben«, sagte er zu Carmen Schirner. »Ich würde gerne noch einen Blick in den Aktenschrank werfen.«
»Der Schlüssel ist auch in der Schublade«, entgegnete Carmen.
Brandt schloss auf und zog ein Schubfach nach dem andern heraus. In dreien befanden sich lauter beschriftete Hängeordner, das unterste Fach war leer.
»In den Ordnern hat er alles aufbewahrt, was mit der Schule zusammenhängt«, erklärte Carmen und stellte sich zu Brandt. »Und wenn er bis zu seiner Pension weiter …« Sie hielt inne, ihre Mundwinkel zuckten verdächtig, aber sie hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. »Na ja, dann wäre auch das unterste Fach voll gewesen.«
»Wozu hat Ihr Vater einen PC gebraucht?«
»Wer braucht heutzutage keinen?«, fragte sie zurück. »Für einen Lehrer ist ein PC ein wahrer Segen. Mein Vater hat seine Klausuren damit vorbereitet, und er hat an einem Buch geschrieben.«
»Was für ein Buch?«
»Eine Familiengeschichte, genau genommen seine Familiengeschichte. Und dafür auch der Internetanschluss, weil er viel recherchieren
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