Tod eines Mathematikers
Stelle finden, wo ich rechts ranfahren kann.« Er hielt dann auch wirklich an. Doch während er noch immer beruhigend auf die Frauen einredete, fingerte er das Tuch, das er vorher mit Chloroform getränkt hatte, aus seiner Hosentasche. Blitzschnell drückte er es seinen Lieblingen auf Nase und Mund. Die Frauen strampelten noch ein bisschen mit den Beinen, sackten zusammen, sahen aus, als würden sie schlafen.
Nie war jemandem etwas aufgefallen. Kein Zeuge hatte sich gemeldet, der gesehen hatte, wie eine der Frauen zu ihm in seinen Kastenwagen gestiegen war. Dabei war sein Auto durchaus auffällig: weiß mit roter Schrift. Aber genau darin lag sein Geheimnis. Wer rechnet schon damit, dass ein Entführer einen Wagen hat, auf dem in großen, roten Buchstaben sein Name steht: Ernst Willich. Gas- und Wasserinstallateurmeister. Freundlich. Kompetent. Preiswert. Deshalb waren die Frauen arglos zu ihm ins Auto gestiegen.
Dreistigkeit war das Erfolgsrezept vieler Verbrecher. Je dreister ein Täter war, desto weniger Zeugen schien es zu geben. Am helllichten Tag auf belebten Plätzen rechnete niemand mit dem Bösen. Das hatte er in der Zeitung oft gelesen. Einmal hatte ein Mann in Bremerhaven vormittags, auf offener Straße, ein kleines Mädchen in seinen Wagen gezerrt. Passanten hatten die Szene beobachtet, aber angenommen, dass ein Vater seine Tochter zur Räson bringen wolle. Nachdem die Kleine tot aufgefunden worden war, hatte die Kripo dreizehn Jahre lang nach dem Mörder gesucht und ihn nur durch Zufall überführt.
Problemlos war es ihm jedes Mal gelungen, seine Opfer unbemerkt in diesen leer stehenden Bunker zwischen Bremen und Bremerhaven zu schaffen, wo er die schönsten Stunden seines Lebens mit ihnen verbracht hatte. Sich an ihrer Schönheit geweidet, wenn sie nackt und mit Kabelbindern gefesselt vor ihm lagen. Sie genossen. Wieder und wieder. Er liebte sie. Wirklich. Deshalb hatte er ihnen zum Schluss das Genick gebrochen. Sodass ihre Schönheit erhalten blieb. Und so, dass sie nicht leiden mussten. Die humanste Art, jemanden zu töten. Sauber, sicher und schnell.
Die Leichen von Claudia und Charlotte hatte er in der Müllverbrennungsanlage in Bremerhaven entsorgt, wo einer seiner Vereinsfreunde arbeitete. Er hatte ihn nachts oft besucht, um mit ihm Schach zu spielen. Der Kumpel war immer sehr erfreut gewesen, dass ›der Ernstl‹, wie er ihn nannte, den weiten Weg von Bremen nach Bremerhaven auf sich nahm, nur um ihm die Nachtschicht zu versüßen. »Für eine gute Partie ist mir kein Weg zu weit«, hatte er stets geantwortet. Und natürlich durfte er auch seinen Sperrmüll mitbringen. Er tat das regelmäßig und zwei Mal hatte er halt eine Art Sondermüll dabei gehabt.
Sein Kumpel hatte keine Ahnung gehabt, was er da verschwinden ließ. Er hatte die alten Seemannskoffer aufs Band gehievt, das den Müll direkt in den Hochofen beförderte. Das erste Mal, als er sich von Claudia trennen musste, war alles glattgegangen. Sein Schachfreund hatte ihn alleine gelassen. Doch dann, zehn Jahre später, als er Charlotte loswerden wollte, hatte sein Kumpel plötzlich hinter ihm gestanden. »Das ist aber ein schöner Koffer, Ernstl. Kann ich den nicht haben?«
Er war ganz ruhig geblieben. »Dieser Koffer gehörte einem Verwandten, der vor Kurzem gestorben ist. Würde ihn dir gerne schenken, aber der stand im Keller, war Farbe und Klebstoff drin. Alles ausgelaufen, kann man nix mehr reinlegen. Stinkt wie Hölle.« Der Kumpel hatte genickt. Gemeinsam hatten sie zugesehen, wie der Hochofen den Koffer verschlang. Dann waren sie Schach spielen gegangen.
Nur die Leiche von Nicole hatte er, in einem mit Steinen beschwerten Koffer, in der Weser versenkt, ein Fehler, wie er sich eingestehen musste. Aber sein Kumpel war überraschend krank geworden. Und Nicole musste weg. Immerhin hatte der Fluss sein Geheimnis fast zwanzig Jahre für sich behalten. Doch dann musste sich der Koffer geöffnet haben und die Teile von Nicoles Skelett waren herausgespült worden. In nächster Zeit würde man sicher noch mehr Leichenteile von ihr finden. Da hatte er wirklich gepfuscht, das musste er zugeben.
Nach drei Lieblingen, die er sich geholt hatte, war er ruhiger geworden. Er war inzwischen fast sechzig Jahre alt gewesen, seine Potenz schwand und mit ihr der Hunger nach Frischfleisch. Viagra war für den deutschen Markt noch nicht zugelassen.
Doch dann, im Jahr 2000, war plötzlich wieder eine Frau verschwunden, und zwar am 4. Mai –
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