Tod eines Mathematikers
Verdacht. Wenn die Kollegen jetzt nach Alexandra suchen, können sie doch zumindest auf Verdacht bei Ernst Willich vorbeischauen.«
*
Scheiße, die Schlüssel … Ich fiel auf die Knie, patschte verzweifelt mit den Händen auf den kalten Betonboden … Verdammt. Nichts. Im Dämmerlicht konnte ich kaum etwas sehen. Plötzlich spürte ich das kalte Metall zwischen meinen Fingern, sprang auf, rannte zur Tür, schloss auf, schlüpfte hinaus, kniff die Augen zusammen, weil es so hell war. Ich drehte mich um, schloss die Tür von außen sofort wieder ab. Dann rannte ich, mein eigenes Keuchen im Ohr, eine Treppe hoch. Sekunden später stand ich in einem Hausflur. Moment mal, diese Garderobe … ein rot glänzender Unterschrank. Ein dunkles Altherren-Tweed-Sakko am Haken. Das war doch … O Gott, das war das Haus von Ernst Willich!
Plötzlich krachte es. Holz zersplitterte. Scheiße, Willich schlug die Kellertür ein. Klar, der wusste, wo in seinem Keller das Werkzeug lag. Ich lief zur Haustür, drückte die Klinke runter. Abgeschlossen. Panisch sah ich mich um. Neben der Tür hing ein Schlüsselbrett. Wahllos riss ich einen Schlüsselbund von den Haken, versuchte mit zittrigen Fingern, einen Schlüssel ins Schloss zu kriegen. Vergeblich. Das Krachen im Keller wurde immer lauter. Ruhig, ganz ruhig. Der Schlüssel passte nicht. Der zweite. Fehlanzeige. Der dritte.
Dummdummdummm. Scheiße, der Kerl hatte sich befreit, polterte die Treppe hoch. Gleich wäre er bei mir! Ich musste mich zusammenreißen, um das Schlüsselloch überhaupt zu treffen. Mit einem leisen Ratschen glitt der Schlüssel ins Schloss. Schreiend stürzte ich ins Freie. Und lief den Polizisten in die Arme, die gerade auf das Haus zukamen.
*
King’s Gambit. Fischer Defence. Was für ein Blödsinn. Die Bullen waren auf dem Holzweg. Die Linie der Wohnorte … Oder, wenn man das Schachbrett umdrehte, die Linie der Stadtteile, in denen die Frauen verschwunden waren. Hübsche Idee. Sie hatte nur einen Fehler: Er hatte gar nicht alle fünf Frauen umgebracht.
Ernst Willich lag im Gefängniskrankenhaus. Die Justizvollzugsbeamten hatten ihn mit Fußfesseln ans Bettgestell gekettet. Sein Zimmer sah eigentlich aus wie ein normales Krankenzimmer, nur dass die Fenster vergittert waren.
Sein linkes Auge, das heißt, was davon übrig geblieben war, pochte unter dem Mullverband. Doch der Arzt, der ihn nicht wie einen Mörder, sondern wie einen normalen Patienten behandelte, meinte, er habe noch mal Glück gehabt. Ein paar Zentimeter tiefer und der Absatz wäre ins Gehirn eingedrungen. Das hätte er nicht überlebt. Die Stichwunde an der Schulter, die ihm Alexandra zugefügt hatte, war tief, aber nicht lebensgefährlich. Und auch seine Nase würde heilen. Das Kätzchen hatte ihn ganz schön zugerichtet.
Jetzt würde er lebenslänglich kriegen. Und dann in den Hochsicherheitstrakt nach Celle verlegt werden, wo die richtig schweren Jungs saßen. Na ja, Hauptsache, er würde dort ein paar Knackis finden, mit denen er Schach spielen konnte. Und wenn nicht, würde er eine Schach-AG gründen und seinen Mithäftlingen das Spiel der Könige beibringen.
Er war ein alter Mann, brauchte nicht mehr viel. Und alles, was er je wirklich gewollt hatte, das heißt fast alles, hatte er sich genommen. Mit Gewalt. Bis auf Alexandra hatte er sie alle gekriegt. Dass Katzensteins Tochter ihm entkommen war, bedauerte er allerdings sehr. Die Kleine war ja wirklich hinreißend. Niemals hätte er sie töten können, dazu liebte er sie viel zu sehr. Die anderen Frauen hatte er ja bloß flüchtig gekannt. Aber reingelegt hatte sie ihn, dieses kleine Luder. Es war sein heimlicher Traum gewesen, sie in seinem Keller gefangen zu halten. Als Sexsklavin. Und als sie ihm in Aussicht gestellt hatte, dass sie freiwillig mitmachen würde, war er unvorsichtig geworden. Und für diese Gutmütigkeit musste er jetzt bezahlen.
Er hatte alles gestanden, was die Bullen ihm vorgeworfen hatten. King’s Gambit, Fischer Defence. Die Morde an fünf Frauen. Als die Bullen ihn voller Stolz mit ihrer Theorie konfrontiert hatten, hatte er nur genickt. Sollte die Mordkommission ruhig glauben, dass er sich seine Opfer anhand von ein paar Schachzügen ausgesucht hatte. Die Boulevardpresse hatte ihn Schachmonster getauft. Und wenn er ehrlich war, gefiel ihm dieser Spitzname sehr.
Die beiden Frauen im Bremer Westen, die mit dem Fahrrad unterwegs gewesen waren, hatte er nicht entführt. Viel zu riskant, fremde Frauen ins
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