Tod eines Träumers (Vera-Lichte-Krimi) (German Edition)
zu zeigen. Stumm den Zettel zu zeigen. Keine Worte vorher verlieren. Dann wappnete sie sich nur. Frage Irmela nach deiner Geburt.
Er zögerte nicht länger, seine Großmutter zu konfrontieren mit diesem geheimnisvollen Zettel. Ihn und sie ging es an. Wen sonst? Irmela schien verschwunden. Gerry hatte keine Geduld, sie zu suchen. Warum glaubte er, dass ihm die Zeit davonlief?
Er trug ein Paket mit Sandwiches bei sich. Parmaschinken. Lachs. All das, was sich seine Großmutter nie leistete. Vielleicht lag es gar nicht am Geld.
Der Großvater war vierundsechzig Jahre alt gewesen, als er auf der Werft tot umfiel. Er hatte ein Leben lang gearbeitet.
Da konnte sie nicht schlecht versorgt sein.
Die Sandwiches hatte ihm Anni mitgegeben. Wo er nun doch nicht zu den Muzen blieb und kaum gefrühstückt hatte.
Gerry klingelte lange und zum zweiten Mal.
Vielleicht kam sie nicht aus dem Bett hoch. Gerry fluchte, keinen Schlüssel mehr zu haben. Kurzsichtig von ihr. War er nicht der Zuverlässigste in ihrem Leben?
Und wenn sie tot in ihrer Wohnung lag? Was sollte er tun? Den Schlosser kommen lassen?
Gestern Nacht in Veras Gästezimmer hatte er noch lange wachgelegen. Versucht, sich die Umstände seiner Geburt vorzustellen. Wer war dabei gewesen?
Er hatte um seine Geburtsurkunde gebeten gehabt, als er im Sommer aus der Wohnung seiner Großmutter gezogen war.
Die kriegst du schon noch, hatte sie gesagt.
Warum war er nicht einfach zum Standesamt gegangen?
Wovor hatte er Angst?
Gerry trat zurück. Guckte zu den Fenstern im ersten Stock hoch. Sie waren dunkel an diesem trüben Tag. Hätte auch nicht zu ihr gepasst, Licht anzuschalten. Seine Großmutter dachte nicht gemütlich. Sie dachte sparsam. Vielleicht hielt sie sich nur noch im Schlafzimmer auf.
Die lächelnde Frau aus der Gemeinde, die ihn gestreichelt hatte. Sie kam ihm vor Augen, wenn er darüber nachdachte, wer den Zettel auf das Stück Sisal vor seiner Tür gelegt hatte. Sicher keine von den Gestalten, die sonst hinter ihm her liefen. Der Beigefarbene. Der Anorakmann.
Der war ihm harmlos vorgekommen beim Bußgang in der Gemeinde. Hatte er wirklich Angst gehabt, von ihm unter die Bahn gestoßen zu werden? Nick hatte wohl richtig gelegen mit seinen Mutmaßungen damals. Eine Ungeschicklichkeit im Gedränge. Nicht mehr. Er war gelassener geworden, seit er Vera kannte, dachte Gerry.
Er drückte noch einmal auf den Klingelknopf.
»Die ist abgeholt worden«, sagte eine Stimme hinter ihm, »oder wollen Sie nicht zu Frau Köpke?«
Gerry drehte sich um. Er kannte die Frau im Lackmantel nicht, die da stand und an einer Zigarette zog.
»Abgeholt worden«, sagte Gerry, »was soll das heißen?«
»Wer sind Sie denn?«, fragte die Frau.
»Frau Köpkes Enkel.«
»Ach der«, sagte die Frau. »So ältliche Leutchen haben Ihre Großmutter abgeholt. Frau Köpke hatte eine große Tasche dabei. Da, wo ich hingehe, geht es mir gut, hat sie gesagt. Ist ganz schön schwach, die alte Dame. Ich kenne sie ja kaum. Hat mich vor ein paar Tagen angesprochen und gefragt, ob ich ihr Kamille einkaufe.«
Die Frau zog einen Schlüssel aus der Tasche und trat zur Tür. »Macht wohl keinen Sinn, wenn ich Sie mit rein nehme.«
»Sie sind hier eingezogen?«, fragte Gerry.
»Ich bin dabei. Nebenan von Frau Köpke. Ich kann Ihnen nicht sagen, wohin die gegangen sind.«
»Gegangen? Die waren zu Fuß unterwegs?«
Die Frau nickte. »Komisch, nicht? Dabei kann die alte Dame kaum noch laufen.«
Ein Bußgang, dachte Gerry. Eine andere Art Bußgang.
Ihm blieb nichts anderes, als in der Gemeinde aufzukreuzen. Er konnte nicht bis zum Dienst am Sonntag warten. Vielleicht war das ohnehin nur eine Schnapsidee von Vera gewesen.
Die Frau ließ die Zigarette fallen und trat sie aus.
»Tut mir Leid«, sagte sie und schloss die Tür auf, um dahinter zu verschwinden.
Gerry blickte zu den Fenstern hoch. Hätte er die Idee mit dem Handy nur nicht verworfen. Einen Versuch wäre das wert gewesen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie es wegwarf, war ihm zu groß erschienen.
Gerry stand da und wartete noch, bis in der Wohnung neben der seiner Großmutter das Licht anging.
Dann brach er auf, sie zu suchen.
»Events«, sagte der Herr in Schwarz, »die finden eben anderswo statt. Da sitzt man nicht um zehn am Schreibtisch.«
»Ich kenne das Problem mit den Events«, sagte der Herr Hauptkommissar, »ich bin auch ständig unterwegs, weil sie außerhalb meines Schreibtisches stattfinden. Darum halte ich mich seit
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