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Tod im Apotherkerhaus

Tod im Apotherkerhaus

Titel: Tod im Apotherkerhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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des Musenjüngers abzuwarten, fuhr er fort: »Es handelt sich dabei um eine geometrische Verhältnismäßigkeit, die ich in den Pflanzenbereich übertragen habe. Mit anderen Worten: ein Teil Melisse, ein Teil Kampfer, zwei Teile Passiflora, drei Teile Hopfen und fünf Teile Baldrian. Eine Reihung, bei der sich jede Zahl durch die Summe der beiden vorhergehenden bildet.«
    Der Italiener schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Das Fläschchen, das er gerade zur Gänze leeren wollte, sank wieder herab, doch Rapp war bei einem seiner Lieblingsthemen angekommen und setzte bereits seine Ausführungen fort: »Diese Reihung, mein Herr, die beliebig erweitert werden kann, nennt man auch Fibonacci-Folge, nach einem Mathematiker namens Fibonacci, welcher ein Landsmann von Euch war. Das Interessante dabei ist: Wenn man jede Zahl durch die nächstfolgende teilt, nähert man sich dem Wert von Null Komma sechshundertachtzehn und damit der magischen Zahl des Goldenen Schnitts. Es ist Euch ja sicher bekannt, welche Bedeutung dieses geometrische Verhältnis für die alten italienischen Meister hatte. Ich bin ganz sicher, dass die Harmonie der Teile, die dem Auge gut tut, gleichermaßen wirksam im Bereich der Drogen ist.«
    Vielleicht lag es an den ablenkenden Worten, vielleicht auch daran, dass der Beruhigungssaft tatsächlich seine Wirkung tat, in jedem Fall schien Agosta nun etwas gefasster zu sein. »Ich bin ganz sicher, dass die Harmonie der Teile, die dem Auge gut tut, gleichermaßen wirksam im Bereich der Drogen ist«, wiederholte Rapp, und während er das sagte, fiel ihm ein, dass er den Tropfen womöglich auch seine Einladung verdankte. Er erinnerte sich, sie vor nicht allzu langer Zeit einer der Hausmägde von Elsa Lüttkopp gegeben zu haben. Ja, ja, die Tropfen. Sie erfreuten sich bei den Hanseaten großer Beliebtheit, und er hatte schon so manche Hamburgische Mark mit ihnen verdient. Mittlerweile waren sie in der Stadt bekannter als ihr Erzeuger, aber das war ihm nur recht. Er hatte schon immer wenig Aufhebens um seine Person gemacht - und sich stattdessen lieber seinen Professionen gewidmet.
    Ein hell klingender Gong holte Rapp in die Wirklichkeit zurück. Agosta fuhr zusammen und stürzte mit den Worten -Mamma mia, es ist so weit! Grazie, Signore, grazie und arri-vederei!« in den Nebenraum.
    Mit ihm machten sich unverzüglich alle Anwesenden auf, und der Strom der Hinüberstrebenden und dabei ohne Unterlass Schwätzenden riss Rapp mit sich und sog ihn durch die Flügeltür hinein in den gegenüberliegenden Salon. Jedermann schien zu wissen, in welcher Stuhlreihe er sich niederzulassen hatte, nur Rapp war völlig ahnungslos. Gab es eine bestimmte Sitzordnung? Wo sollte, wo durfte er Platz nehmen? Schließlich, als einer der Letzten, setzte er sich in die hinterste Reihe, dorthin, wo noch einige Stühle frei waren. Noch immer balancierte er die Coffeetasse in der Hand und fragte sich verzweifelt, wohin die vielen anderen Gäste, die ebenfalls den Türkentrank zu sich genommen hatten, diese abgestellt hatten. Wieder meldete sich der Gong. Obwohl er ganz hinten saß, kam Rapp sich vor wie in einer Zwangsjacke - abgegrenzt von Stuhllehnen und Köpfen, von streng gescheitelten wallenden Röcken, von Rüschen und Spitzenborten, Bändern und Schleifchen, von Schweiß und schweren Parfümschwaden. Ein Sprachengemisch aus Französisch, Englisch und Deutsch schwirrte in seinen Ohren. Die Stühle links und rechts neben ihm waren frei geblieben, und Rapp fragte sich gerade, ob er auf einem der beiden seine Coffeetasse absetzen durfte, als plötzlich zwei Nachzügler herbeistürzten. Es waren kräftige, gut gekleidete Herren, die ohne zu zaudern neben ihm Platz nahmen, wobei der eine Rapp einen heftigen Rempler versetzte. »Au!«, machte Rapp und blickte vorwurfsvoll auf. Er hatte seine liebe Not, den überschwappenden Coffee zu bändigen. Der Verursacher des Fast-Malheurs lächelte breit. Dann sagte er: » Serr gut, uns Freund da sein!« Rapp verstand den Sinn des Satzes nicht, nahm aber an, der Herr habe sich entschuldigt, und war um Freundlichkeit bemüht. »Schon gut, es ist ja nichts passiert.« Daraufhin beugte sich der andere Fremde vor und meinte: » Endlich kann lossgehen!« Rapp, zwischen beiden sitzend, fühlte sich zunehmend unwohl. Der erste Mann nickte.
    Das schien ein Zeichen für den anderen Mann zu sein, denn er erhob sich und verschwand mit den Worten: » Ich sagen Bescheid.« Einen Atemzug später ging auch der

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