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Tod im Apotherkerhaus

Tod im Apotherkerhaus

Titel: Tod im Apotherkerhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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weg. Nun gut. Er hatte es ohnehin nicht weit. Er würde nicht über den Burstah gehen, sondern den Weg über den Hopfenmarkt nehmen, vorbei an St. Nikolai. Dort standen mehrere Laternen, die den Platz erleuchteten. Rapp steckte die Nase in den Wind und sog tief die frische Nachtluft ein. Dann setzte er sich in Bewegung. Die Große Johannisstraße lag in unmittelbarer Nähe des Rathauses, was Berendt Lüttkopp vor Jahren bewogen haben mochte, seinen Wohnsitz eben hier erbauen zu lassen. Rapp wandte sich nach Süden. Es pressierte ihm nun mächtig, in seine Apotheke zu kommen. Allein der Gedanke, dass am heutigen Tage einige Salben zur Neige gegangen waren und umgehend neu zubereitet werden mussten, ließ ihn seinen Schritt beschleunigen. Auch der Vorrat an Oleum camphorat, dem Öl des indischen Kampferbaums, wollte endlich in kleine Gefäße umgefüllt werden, ebenso der venezianische Theriak und einige andere Liquores. Dann war da noch das Schneidebrett zum Zerkleinern von Kräutern: Es hakte seit einigen Tagen und wartete darauf, gängig gemacht zu werden. Nicht zuletzt das große Wiegemesser konnte mal wieder eine Schärfung vertragen. Und über alledem die Kräuterbüschel auf dem Trockenboden: Es waren genau zweihundertsiebenundfünfzig, die dort hingen, und alle mussten überprüft und nötigenfalls umgehängt oder mehr ans Licht gebracht werden.
    Rapp schnaubte und bedauerte, nicht drei oder mehr Hände zu haben. Mittlerweile war er auf dem Hopfenmarkt angelangt, wo St. Nikolai von rechts herübergrüßte. Die Tranlaternen spendeten schummriges Licht. Niemand war zu sehen. Die Tür des Gotteshauses war geschlossen, was Rapp allerdings nicht verwunderte. Nach seiner Erfahrung war der Hamburger Bürger ein regelmäßiger, aber nicht allzu fleißiger Kirchgänger. Er hatte dafür durchaus Verständnis, denn er selbst ließ sich selten in St. Nikolai sehen. Stattdessen stand er lieber hinter dem Rezepturtisch in seiner Offizin oder saß - wenn seine knappe Zeit es erlaubte - vor seiner geliebten Sammlung überseeischer Kuriosa.
    Die Kirchenglocke hoch oben im Turm begann zu dröhnen. Elf Uhr!, schoss es ihm durch den Kopf, und unwillkürlich zählte er die Schläge mit, während er weiter in Richtung Deichstraße eilte. Nach dem zehnten Schlag glaubte er linker Hand einen anderen, viel leiseren Laut wahrzunehmen. Das Geräusch klang seltsam, irgendwie verzweifelt. Was hatte das zu bedeuten? In seine Überlegungen hinein hämmerte der elfte Glockenschlag. Rapp schüttelte sich unwillkürlich, als könne er dadurch seine Ohren vom Nachhall befreien, und lauschte abermals. Nichts.
    Und doch hatte er etwas gehört. Ja, er war jetzt ganz sicher, dass es sich um einen Ruf gehandelt hatte, einen Notschrei womöglich, ausgestoßen irgendwo in einer der verwinkelten Gassen, die sich wie brüchige Adern durch die alten, baufälligen Häuser nach Osten zum Nikolaifleet hinzogen. Eine Gegend, die nicht allzu einladend war. »Hilfe! Zu Hilfe! Oooh, oooh ...«
    Rapp spürte Genugtuung. Auf sein Gehör war immer noch Verlass. Und auch wenn die Häuserfront sich dunkel und drohend vor ihm aufbaute, so zögerte er keineswegs, dem Hilferuf auf den Grund zu gehen. Vielleicht konnte eine seiner stets mitgeführten Arzneien Linderung verschaffen, oder jemand benötigte einen ärztlichen Rat, den zu geben er als Apotheker ebenfalls in der Lage war.
    Nein, er fürchtete sich nicht. Wozu auch? Hamburg war zwar eine Hafenstadt und demzufolge ein Ort, an dem sich viele faule, freche, geile, gottlose, versoffene Trunkenbolde, Bierbalge und Bettler herumtrieben, aber ihm war noch nie etwas passiert, und er sah keinen Grund, warum das ausgerechnet in dieser Nacht anders sein sollte. Obwohl er kaum die Hand vor Augen sah, betrat er das sich vor ihm auftuende Gässchen - die Hände weit ausgestreckt und sich auf diese Weise vorantastend. Als seine Pupillen sich besser an das Dunkel gewöhnt hatten und er etwas schneller ausschreiten konnte, rief er: »Wartet, ich komme! Wo seid Ihr?«
    Wieder erklang der Hilferuf. Rapp erkannte, dass er sich schon in unmittelbarer Nähe des Verzweifelten befinden musste. Er stolperte über mehrere herumliegende Säcke, fing sich gerade noch und rief abermals: »Ich komme! Nur keine Sorge!« Kr beschleunigte seinen Schritt. Vor ihm tauchte ein schwacher Lichtschein auf. Ein trübes Fenster wurde sichtbar, dahinter schemenhafte Köpfe und betrunkene Stimmen. Fetzen von Musik erklangen. Jemand quälte die Saiten

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