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Tod im Apotherkerhaus

Tod im Apotherkerhaus

Titel: Tod im Apotherkerhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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arme Waschfrau, war überglücklich gewesen. Nur Geld hatte sie keines gehabt. Stattdessen hatte sie angeboten, ihm seine Wäsche für ein halbes Jahr umsonst zu machen. Vielleicht würde er darauf zurückkommen.
    Es ging bereits auf neun Uhr, wie immer um diese Zeit herrschte Hochbetrieb im Hammerhai. Gegröle von Betrunkenen und das Gekratze auf einer Fidel drangen nach draußen. Irgendwer sang laut und falsch. Angewidert schüttelte der Physikus den Kopf. Doch es half nichts, er musste hinein in die Räucherhöhle, wollte er seinem Freund Teodorus Rapp helfen und sich umhören. Das hatte er schließlich versprochen. Die Arzttasche umklammernd, riss er die quietschende Holztür auf. Beißender Tobackqualm, so dicht, dass er die Hand nicht vor Augen sehen konnte, umfing ihn drinnen. Er ließ die Tür offen, damit die Schwaden sich verziehen konnten, und blinzelte heftig. Gestank nach fadem Bier, Schweiß und Pisse schlug ihm entgegen. Er ging ein paar Schritte vor, in der Hoffnung, besser sehen zu können. Das Brüllen und Gejohle hielt unvermindert an. Es wurde sogar noch lauter und klang jetzt wie Anfeuerungsgeschrei.
    Dann herrschte jählings Stille. Einige schmierige Gestalten rückten in de Castros Blickfeld. Dazu torkelnde Zecher und am Boden liegende Bierleichen. »Mook de Döör to!«, schrie eine Stimme. Der Physikus dachte nicht daran. Im zusehends lichter werdenden Nebel hatte er gesehen, dass eine der Bierleichen ihren Zustand nicht dem Alkohol, sondern einer Schlagwaffe verdankte. Der hochaufgeschossene Kerl, der sie benutzt hatte, stand unmittelbar daneben, noch halb über sein Opfer gebeugt.
    De Castro zögerte keinen Augenblick. »Lasst mich durch!« Er stieß die Gaffer beiseite und erkannte, dass es sich bei dem Schlaginstrument um einen riesigen Knochen handelte. Flüchtig dachte er an das gewaltige Skelett des Hammerhais, das früher an der Decke baumelte. Er hatte es beim Eintreten nicht bemerkt. »Ich bin Physikus.«
    »Mook de Döör to, verdammich!«, erklang es abermals. »De Nachtwach is ünnerwegs!«
    Hauke Stoffers, der Fettwanst, war hinter seinem Fass hervorgewatschelt, in seiner Begleitung zwei vierkant gebaute, schwarzhaarige Männer, von denen einer ein unverständliches Kauderwelsch ausstieß: »Чтоto oh 3дecь noтepял?« Es waren Burschen von der Sorte, der man ungern im Dunkeln begegnet. Wahrscheinlich hatte der Wirt mit ihnen gerade eine neue Untat ausgeheckt. Irgendjemand schloss die Tür.
    »Büst du dat, oder büst du dat nich?«, fragte der Dickbauch misstrauisch.
    »Ich bin Doktor Fernäo de Castro, derjenige, der dir vor zwei Jahren deine Wasserbeine behandelte. Wenn ich dich so anschaue, kann es damit nicht besser geworden sein. Aber es ist ja dein Leben. Im Übrigen scheinst du wirklich ein schlechtes Gedächtnis zu haben. Schon damals sagte ich dir, dass ich auf einer standesgemäßen Anrede bestehe. Und nun lass mich nach dem Verletzten sehen.«
    Als Armenarzt legte der Physikus nicht sonderlich Wert auf Förmlichkeiten, und es machte ihm wenig aus, auf Plattdeutsch mit »du« angesprochen zu werden. Aber es gab Ausnahmen. Und Hauke Stoffers war so eine. Ohne sich weiter um den Fettwanst zu kümmern, kniete er nieder, öffnete die Arzttasche und untersuchte den Bewusstlosen. Er fühlte den Puls, hörte mit dem Rohr das Herz ab, zog ihm die Augenlider hoch, untersuchte den Kopf und den gesamten Körper. Danach wanderten seine kundigen Hände wieder zum Kopf. »Es ist, was ich befürchtet habe«, sagte er, sich aufrichtend. »Eine Impressionsfraktur der Kalotte, oder, damit es jeder versteht: ein Bruch des Schädeldachs. Damit ist keineswegs zu spaßen.« Er wandte sich an den Kerl mit dem Knochen: »Ich hoffe für dich, dass der Mann überlebt. Er muss sofort in ein Hospital.« »Nee, dat mutt he nich!« Stoffers schob seine Körpermassen zwischen de Castro und den am Boden liegenden Mann. Seine Schweinsäuglein schössen Blitze.
    »Wenn er hier bleibt und nicht behandelt wird, sind seine Überlebensaussichten sehr viel geringer.«
    »Na un? Dat is mi schietegool. Buckel is'n Sabbelpott. He weet toveel.« »Buckel?« »So heet he.«
    »Aha.« Der Physikus betrachtete den Verletzten, der kaum zwanzig Jahre zählte, und fragte sich, was an dessen Aussehen wohl an einen geräucherten Hering erinnerte. Er fand es nicht heraus. Er sah nur ein schmales, spitzes Gesicht unter dünnem Blondhaar. Beim Allmächtigen, dessen Name gepriesen sei, dachte er, wie kommen die

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