Tod im Apotherkerhaus
sturzbetrunken, schien viel eher auf ihn selbst zuzutreffen. Der Kleidung nach war er ein Seemann, und er musste Hamburger sein, denn er sprach hiesiges Plattdeutsch -eine Mundart, die Rapp nur schwer verstand. Dennoch erahnte er, was der Kerl meinte. Er beschloss, nicht darauf einzugehen, zumal ihn etwas anderes viel mehr interessierte. »Wo ... wo bin ich?«
»Hoho, dat kenn ik! Mann, mutt du en achter de Mutz hebben! Du büst ünnen an'n Kehrwedder, verstohst? Kehrwedder, ünnen an'n Haven.«
Rapp kannte die Straße Kehrwieder. Sie begrenzte einen Teil des südlichen Hafenbeckens und diente als Kai und Lagerplatz. Sie befand sich einen guten Fußmarsch entfernt vom Hopfenmarkt und von St. Nikolai.
»Ik bün Klaas. Dunnerkiel, hest du en Brummküsel.« Der Kerl sagte es fast bewundernd. »Klaas, hupps, von de Seeschwalbe. Kann ik di helpen?«
Rapp begann sich über den Mann zu ärgern. Nicht nur, dass der Kerl ihn hartnäckig für betrunken hielt, er ließ es auch am gebotenen Respekt mangeln. Schließlich hatte er es nicht mit seinesgleichen, sondern mit einem Herrn von Stand zu tun. Die Hilfsbereitschaft in allen Ehren, aber was zu viel war, war zu viel. Be-wusst barsch sagte er: »Hau ab, Mann!« »Hä?«
»Ich sagte: Hau ab, Mann!«
»Jo, man sinnig, ümmer sinnig, ik bün nich harthörig. Ik gah schon.« Leicht beleidigt und in gefährlicher Schräglage verschwand der Seebär.
Rapp sah ihm nach und kam mit großer Mühe endgültig auf die Beine. Dann sah er zum ersten Mal an sich herab. Und traute seinen Augen nicht.
Kapitel zwei,
in welchem Teodorus Rapp sich selbst begegnet und für einen kurzen Augenblick an seinem Verstand zweifelt.
D ie Schifferhose war schmutzig, löchrig und aus altersschwachem Leinen. Rapp starrte das kümmerliche ^ Kleidungsstück ungläubig an. Er hatte es niemals zuvor gesehen, geschweige denn besessen. Und doch: Genau darin steckten jetzt seine Beine!
Was, zum Donnerwetter, hatte das zu bedeuten? Rapp zerrte an der Hose, die um einiges zu lang war, und stellte fest, dass er auf bloßen Füßen stand. Wo waren seine Schnallenschuhe geblieben? Wo war sein weinroter Rock? Seine Perücke? Sein Spazierstock?
Langsam dämmerte es ihm, dass sein Aufzug mit dem Überfall des vergangenen Abends zu tun haben musste. Richtig, er war niedergeschlagen worden. Daran erinnerte er sich. In der Nähe des Hopfenmarkts war es gewesen, vor einer Schänke. Wie hieß sie noch? Irgendetwas mit Hai... Hai... Hammerhai, ja, das war's! Und weiter? Rapp kramte in seinem Gedächtnis, fand dort aber nur eine große Leere vor. Immerhin, so viel schien klar: Im bewusstlosen Zustand hatte man ihn seiner Kleider beraubt und anschließend in die Beinlinge eines Hungerleiders gesteckt. Aber warum? Was war an einem alten Gehrock wie dem Seinen so begehrenswert? Wäre es nur um seine Barschaft gegangen, hätte er das Ganze noch verstanden. Aber so? Rapp spürte, wie ihm die Zähne aufeinander schlugen. Es war bitterkalt. Seine warme, mit Kapok gefütterte Weste hatte man ihm ebenfalls genommen. Nur das Hemd darunter, das hatte man ihm gelassen. Mit dem Spitzenbesatz am Kragen und an den Manschetten bildete es einen höchst seltsamen Gegensatz zur Hose.
Rapp blickte sich um. Es hatte etwas aufgeklart. Niedrige Wolken zogen über die Türme der Stadt, getrieben von einem frischen Wind aus Westen. Ganz in der Nähe fegte ein Fischerknecht das Kopfsteinpflaster von Fangresten sauber. Fünf Matrosen sahen ihm grienend dabei zu, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Sie machten sich einen Spaß daraus, ständig im Weg zu stehen und geizten nicht mit herausfordernden Rufen. Doch der Knecht war klug genug, sich nicht reizen zu lassen. Seelenruhig kehrte er um die Matrosen herum. Bildete er es sich ein, oder sahen sie jetzt alle zu ihm herüber? Was sollten die Burschen nur von seiner Erscheinung halten! Rapp kam nicht mehr dazu, sich näher mit diesem Gedanken zu beschäftigen, denn plötzlich wurde ihm speiübel. Die Gerüche des Hafens, eine scharfe Mixtur aus Teer und Modder, aus Farbe, Holz und salziger Luft, waren ihm auf den Magen geschlagen. Er musste sich erbrechen. Doch wohin? Er konnte schließlich nicht einfach mitten auf ... Im letzten Augenblick gelang es ihm, die wenigen Schritte zum Wasser zu tun und dort - unter dem beifälligen Gebrüll der Matrosen - das lästige Geschäft zu verrichten.
Scham und Hilflosigkeit ergriffen von ihm Besitz. Kurz darauf, als er sich etwas wohler
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