Tod im Apotherkerhaus
Flüssigkeit war sehr dunkel, fast schwarz. Er prüfte mit den Fingern ihre Konsistenz. Sie war dicker als Wasser. Und klebriger. Sie war - Blut? Ein Schauer lief Rapp den Rücken hinunter. Seine Gedanken rasten. Er versuchte, sich den Kampf nochmals vor Augen zu führen. Sollte er wirklich so stark ... ? Aber er hatte doch gar nicht so fest...! Mit fahrigen Bewegungen tastete er den Boden neben dem Kopf ab. Dann hatte er die entsetzliche Gewissheit: Der Mann lag in einer großen Blutlache. Damit nicht genug - auch der Kopf des zweiten Strolchs war voller Blut. Rapp sah sich um. In der Kneipe schien man von den Geschehnissen nichts mitbekommen zu haben. Der Geräuschpegel war unverändert hoch. Jemand hatte begonnen zu dem Gekratze der Fidel ein Lied anzustimmen, und ein anderer schien eine Zote zu reißen, denn seine Worte wurden immer wieder von Lachen und Gegröle unterbrochen.
Rapp tastete nach dem linken Handgelenk des vor ihm Liegenden, um den Puls zu fühlen, konnte aber keinen Herzschlag feststellen, weil der Bursche eine Jacke mit langen, eng anliegenden Ärmeln trug. Er war mittlerweile so aufgeregt, dass er sich nicht in der Lage sah, den Stoff hochzukrempeln. Und der andere Bursche? Er war ganz ähnlich gekleidet. »Großer Gott!«, stieß Rapp wieder und wieder hervor, »was habe ich nur angerichtet! Gib, dass die Männer nicht tot sind, ich habe mich doch nur gewehrt. Gib, dass sie nicht tot sind. Bitte ...«
Er fing an, die beiden zu schütteln, schrie ihnen ins Ohr, stammelte irgendwelche Wortfetzen, schüttelte sie erneut mit der Kraft der Verzweiflung - allein, es war alles umsonst. Die Glieder der Angreifer waren kraft- und leblos wie die einer Stoffpuppe. Rapp konnte es noch immer nicht fassen, zwei Menschen getötet zu haben. Er, dessen ganzes Streben es von jeher gewesen war, Gesundheit und Leben seiner Mitbürger zu erhalten! Durch den Sturm seiner Gefühle drang neuer Lärm aus dem Hammerhai. Was war da los? Über die Türschwelle torkelten mehrere Gestalten. Sie waren stockbetrunken, und einer von ihnen warf seinen leeren Becher hoch in die Luft. Rapp sah das Trinkgefäß und gleichzeitig Sterne am Himmel aufgehen. Für den Bruchteil eines Augenblicks wunderte er sich, wieso an einem wolkenverhangenen Himmel Sterne aufblitzen konnten, dann sah er gar nichts mehr. Er stürzte um wie ein gefällter Baum.
Rapp hatte einen bizarren Traum. Er träumte, eine Frau sei zu ihm in die Apotheke gekommen und habe über Kopfschmerz geklagt. Sie glich aufs Haar der Witwe Kruse, die eine Stammkundin von ihm war und ein weiblicher Hypochonder dazu* Rapp fiel es wie gewöhnlich schwer, sie ernst zu nehmen. Halbherzig riet er ihr, Weidenrindentee zu trinken und kalte Wickel um den Kopf zu machen, aber das wollte der Frau nicht gefallen. Sie jammerte immerfort weiter. Der Schmerz säße mehr auf der Wange, auf der Wange säße er, und Rapp antwortete, dort käme keine Migräne vor, und das hätte er ihr schon hundertmal gesagt ... Und dann wachte Rapp auf und merkte, dass der Schmerz der Witwe Kruse sein eigener war und dass ihm ständig etwas Feuchtes über die Wange fuhr. Er stöhnte, blinzelte und öffnete die Augen. Es war helllichter Tag. Über ihm stand ein Straßenköter mit heraushängender Zunge. Rapp wollte sich aufrichten, geriet jedoch ins Schwanken und fiel kraftlos zurück. Sein Kopf fühlte sich an, als brummten darin Schwärme von Hornissen. Ein neuerlicher Versuch, sich zu erheben, gelang nur halbherzig. Die Töle machte sich davon. Rapp spürte brennenden Durst und schmatzte mit trockenen Lippen. Dann befühlte er seinen Hinterkopf, was prompt bestraft wurde, denn die winzige Berührung löste neue Schmerzwellen aus. Rapp zwang sich, tief und ruhig zu atmen. Immerhin kannte er jetzt die Ursache seiner Martern: eine hühnereigroße Beule. Auch seine linke Schulter hatte etwas abbekommen, aber der dort sitzende Schmerz war vergleichsweise gering.
Rapp füllte die Lungen weiter mit frischer Luft. Langsam ließen die Torturen etwas nach, und die Erinnerung kam bruchstückhaft zurück. Er war überfallen worden, und er ... »Hoho, kiek an, dor is een, hupps, de is noch duuner as ik, hoho, sprüttenvull is de!«, unterbrach eine Stimme seine Gedanken. Trotz seines schmerzenden Schädels bog Rapp den Kopf in den Nacken und blinzelte nach oben. Ein ungeschlachter Mann stand da. Ein Kerl, der aus allen Knopflöchern nach Schnaps stank und wie ein Rohr im Winde schwankte. Seine Behauptung, Rapp sei
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