Tod im Apotherkerhaus
Überlegung machte ihm Mut, wenn auch der Gedanke, die Spelunke betreten zu müssen, wenig angenehm "war.
Rapp schob sich durch die quietschende Tür und spähte in den Schankraum. Seine Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an das Zwielicht gewöhnt hatten. Dann erkannte er links und rechts zwei lange, keineswegs saubere Tische, an denen trotz der Tageszeit schon kräftig gebechert wurde. Dunkle Männergestalten saßen hinter Bierkrügen und blickten ihm finster entgegen. Zwei von ihnen, kräftige, vierkant gebaute Kerle, nahmen eine Kerze hoch, damit mehr Licht auf den Eintretenden fiel.
Rapp räusperte sich. Dann sagte er betont forsch: »Ich wünsche allseits einen guten Tag!«
Die Antwort war lediglich ein Grunzen. Es kam von einem Fettwanst, der am Ende des Raums neben einem Bierfass lehnte. Rapp brauchte einen Augenblick, um beides zu unterscheiden, Wanst und Fass, denn der Bauch des Mannes war ebenso dick wie das Behältnis des Biers. »Bist du der Wirt von diesem, äh ... Gasthaus?« Der Fettwanst schwieg. Seine Schweinsäuglein taxierten aufmerksam den Ankömmling. Rapp wiederholte seine Frage. Jetzt kam Bewegung in den Dicken. »Bist du der Wirt von diesem Gasthaus?«, äffte er Rapp nach, und als der, sprachlos ob dieser Frechheit, wie vom Donner gerührt dastand, fuhr er übertrieben langsam und voller Häme fort: »Gewiss, Euer Durchlaucht, das bin ich wohl.« Seine Antwort löste stürmisches Gelächter aus. Rapp biss sich auf die Lippe. Es war heute bereits das zweite Mal, dass man ihn auslachte. Am liebsten hätte er eine gepfefferte Antwort gegeben, aber er musste gute Miene zum bösen Spiel machen, wenn er etwas erfahren wollte. Was hatte der Dickbauch gesagt? Euer Durchlaucht? Wieso sprach der ihn an, als wäre er von Adel? Er war doch Apotheker und ... und dann fiel es Rapp wie Schuppen von den Augen: Es war der Unterschied. Der Unterschied zwischen seinem Aufzug und seiner Ausdrucksweise. Beides passte nicht zueinander. Aber sollte er deshalb anders sprechen? Sich womöglich wie einer der Anwesenden geben? Abermals biss Rapp sich auf die Lippe. Er pflegte nun einmal Hochdeutsch zu reden, und davon wollte er auch nicht abgehen, schon deshalb, weil er das Plattdeutsche nicht beherrschte.
»Ich habe eine Frage an dich, Wirt«, sagte Rapp und drang entschlossen in die schummrige Höhle vor. Aller Augen ruhten dabei auf ihm. Es war das reinste Spießrutenlaufen. Flüchtig streifte sein Kopf etwas Weißes, Hartes. Es war ein Fischskelett, wie er hochblickend feststellte. Es baumelte über ihm an der Decke und war von riesigen Ausmaßen. Wahrscheinlich die Knochen eines Hammerhais, sagte er sich, während er Schritt für Schritt weiterging, bis er dem Dicken direkt gegenüberstand. Niemand im Schankraum hatte in der Zwischenzeit etwas gesagt. Die Schweinsäuglein wurden zu Schlitzen. Rapp hielt dem Blick stand. Endlich wanderten die Äuglein ab, hin zu den Zechern auf den Schemeln und Bänken, und der Fettwanst sagte mit öliger Stimme: »Mann, is dat'n Vörnehmsnacker, ik gleuv, de is hier verkehrt!« Wieder grölendes Gelächter.
Rapp ahnte die Beleidigung und versuchte, sie zu ignorieren. »Gestern Abend soll sich vor dem Hammerhai ein Überfall ereignet haben. Hast du oder einer deiner Gäste etwas davon bemerkt?« »Beer oder Snaps?«
»Es muss kurz nach elf Uhr gewesen sein. Man sagt, es wurde gekämpft. Ich bin sicher, es war so laut, dass man es weithin hören konnte.«
»Ik heff di wat froogt, Vörnehmsnacker!« Der Fettwanst stemmte die Fäuste in die Seiten. »Beer oder Snaps?« Rapp wurde klar, dass er etwas bestellen musste, aber er konnte nicht bezahlen. In der Schifferhose, die man ihm verpasst hatte, befand sich kein einziges Geldstück. Natürlich nicht. »Ah-hm ... ich will nur eine Auskunft. Bei dem Überfall soll Blut geflossen sein und ...« Rapp verstummte. Er hatte fragen wollen, von wem die beiden Leichen fortgeschafft worden waren, aber das wäre ein Fehler gewesen, denn als scheinbar Unbeteiligter konnte er nicht wissen, dass die Männer tot waren. In seiner Not log Rapp schließlich: »Zwei Burschen sollen nach dem Kampf liegen geblieben sein. Einer von ihnen ist möglicherweise mein Bruder. Er ist bis jetzt nicht nach Hause gekommen, und ich mache mir Sorgen.« Er wandte sich an die Zecher. »Hat einer von euch gesehen, was mit den beiden geschah?«
Gespannt wartete Rapp auf eine Antwort. Es kam keine. Nur zehn oder zwölf Augenpaare starrten ihn argwöhnisch an.
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